Grenzen.
Sie bedeuten ein deutliches "Halt!", nicht weiter...
Ich habe ebenfalls Grenzen überschritten. Natürlich nicht bewusst. Oft habe ich nach dem "Halt" nicht verstanden, worin die Grenzverletzung bestanden hat.
Habe ich, was vom Gegenüber erwünscht war, wirklich mein Leben gesprochen, so war es für mich klar, erkennbar. Dem Anderen ist es zu viel geworden. Wenn ich schon nicht zurechtkomme, habe ich gedacht, dann ist es klar, dass jemand der nicht betroffen war und ist, durcheinander kommt, sich auch in meiner Gefühlswelt nicht zurechtfinden kann. Die Grenze zu erkennen, war in solchen Situationen nicht schwer.
Und dann gab es "Grenzverletzungen" die ich bis heute nicht nachvollziehen kann:
Ein Gespräch über Belangloses, über Sachthemen. Auf einmal, ohne erkennbaren Grund hat es "Halt" geheißen. Ohne Erklärung, jedoch mit der Beteuerung, es habe nicht am Thema gelegen.
Plötzlich, ein abruptes Abbrechen eines interessanten Gesprächs mit dem Hinweis, man sei verletzt. Weil?
Weil man eine andere Meinung vertritt, weil man meine Meinung nicht akzeptiert. Weil ich nicht vom Gegenteil überzeugt werden konnte.
Nicht, dass ich ein Mensch bin, der mit aller Vehemenz s e i n e r Meinung Ausdruck verleihen möchte. Ich bin ein Mensch, der Themen gerne ausreizt. Der gerne viele Perspektiven in Betracht zieht. Ich werfe Gesagtes nicht in die Waagschale, wenn ich weiß, w i e es gemeint ist. Ich verbeiße mich nicht in Fehlern der Anderen, weil es Spaß macht, diese Fehler aufzuspüren, bloß, weil es um falsche Ausdrücke geht, aber klar ist, was das Gegenüber meint. Ich bin kein Mensch, der Freude daran hat, anderen Menschen in Gesprächen ihre kleinen Fehler unter die Nase zu reiben, sondern ich besinne mich immer auf das Thema und den Zusammenhang. Dabei geht es mir um das Erkennen der Gedankengänge meiner Mitmenschen, um das Dazulernen - eigentlich egoistisch, wenn ich es so betrachte. Aber ich bin nahezu gierig danach, Neues aufzunehmen, auch dann, wenn mir dabei klar wird, wie eng ich zuvor gedacht habe, gerade dann, denn ich merke, dass ich neue Erkenntnisse dazu bekomme.
Umso trauriger empfinde ich es, wenn mein Gegenüber in der "Ohnmacht" an fehlenden Argumenten, aufgibt. Und zwar aufgibt, indem es eine "Schuldzuweisung" gibt. Der Punkt ist: Du hast meine Meinung noch immer nicht als die Deine angenommen, folglich: Halt, Du hast mich verletzt - obwohl es dabei wahrlich nicht um Persönliches geht, sondern um Themen die Gott und die Welt betreffen.
Und dann sitze ich wie vor dem Kopf geschlagen, frage mich, was passiert ist. Obwohl ich es weiß. Und es verletzt mich. Ich habe erlebt, dass ich beschuldigt wurde, eine Grenze verletzt zu haben, die gar nicht zu verletzen war, weil es keine Grenze geben konnte. Mein Gegenüber hat nicht, so wie ich das in Gesprächen öfter mal mache, zum Ausdruck gebracht: Du, hier kommen wir nicht weiter. Da driften unsere Ansicht so weit auseinander, dass sich das Gespräch im Kreis dreht. Eigentlich haben wir das Thema "ausgereizt".
Eine Grenzverletzung jemanden an den Kopf zu werfen bedeutet auch, eine Schuldzuweisung auszusprechen. Es bedeutet, dass man über die Grenzen des Anderen hinausgegangen ist, obwohl sie erkennbar war.
Und in solchen Momenten, fühle ich mich hilflos und sehr traurig. Weil ich erkennen muss, dass mein Gegenüber das was mich ausmacht, meine Persönlichkeit zu der auch meine Meinungsbildung gehört, nicht respektieren zu wollen. In solchen Momenten bekommt das bisschen Selbstbewusstsein einen Tritt. Und der wirft mich zu Boden, und es dauert wieder, bis ich mich hochrappeln kann. Aber das Vertrauen ist weg, für eine Weile, manchmal für immer.
Und dann gibt es Grenzverletzungen, die mit meinem Handeln zu tun haben. Die mit der Art und Weise, wie i c h mit meinem Schmerz und m i r umgehe die Grenzen der Gefühlswelt meines Gegenübers verletzt. Ich weiß dann, dass ich belaste, unverständlich bin, und das sind die Momente, in denen ich der Welt am liebsten den Rücken kehren würde.
Und dann gibt es Grenzverletzungen, die mein Gegenüber provoziert. So lange, bis ich in die "Falle" stolpere, erstaunt, erschrocken, und ebenfalls verletzt.
Typisches Beispiel war ein Gespräch, das notwendig geworden war, nachdem über ein paar Tage sich in meinem Umfeld sich die Situation erkennbar zu meinem Nachteil verändert hatte, und ich schon einige Male mit meiner Therapeutin darüber gesprochen gehabt habe:
Ihre Empfehlung: Sie müssen sich artikulieren. Wenn sie alles in sich aufstauen, wie soll der Andere wissen, dass sie darunter leiden? Sie m ü s s e n darüber sprechen, in diesem Fall. Und zwar dann, wenn das Problem ansteht.
Ich habe es dann eines Tages nicht mehr ausgehalten und habe gesagt: Ich möchte darüber sprechen. Hier sind wir alleine.
Mein Gegenüber hat jedoch einen Platz vorgezogen, an dem wir NICHT alleine waren, obwohl die Problematik es verlangt hätte, an einem ruhigen Ort. Ich habe mich dem Willen des Gegenübers gebeugt und in der Gegenwart einer anderen Person das Thema angesprochen. Einmal habe ich den Rat meiner Therapeutin angenommen. Ich hatte in diesem Fall nicht die Wahl.
Trotz allem wurde mir eine massive Grenzverletzung vorgeworfen. Weil ich das Thema zum anstehenden Zeitpunkt angesprochen habe. Einmal, nach vielen, vielen rücksichtsvollen Tagen, mich selbst abgrenzen wollte.
Heute weiß ich nicht, wie ich mich abgrenzen kann, meine Bedürfnisse vertreten soll, wenn ich Gefahr laufe, Schuldzuweisungen zu erhalten.
Ich sehe mich um und bemerke, dass meine Mitmenschen es zu einem guten Teil verstehen, auf sich zu achten. Ich komme kaum dazu, auf meine zu achten, weil es ignoriert wird. Vielfach. Das Dumme ist, dass ich die Menschen, die es betrifft mag, aber ich komme zu kurz dabei. Vielleicht bin ich ja zu dumm. Denn einige von ihnen setzen ihre Grenzen sehr unterschiedlich, an einem Tag sind sie, wie sie "sein sollten", an anderen Tagen glaube ich, dass sie sie setzen, weil sie wissen, dass ich ihnen so verbunden bin, dass sie je nach Gutdünken diese Grenzen nach oben oder nach unten schieben. Und ich möchte sie nicht verlieren. Weil sie zu mir gehören. Weil sie trotzdem gute, liebe Eigenschaften haben.
Es ist leichter, Grenzen der Menschen akzeptieren zu können, gar nicht Gefahr zu laufen, sie zu übertreten, die einem nichts bedeuten, die man weniger kennt.
_________________ Man soll nicht das Eine sagen und das Andere denken.
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