Karlsruhe (dpa) - Gefährliche Straftäter können auch künftig nach Ablauf ihrer Freiheitsstrafe dauerhaft in Sicherungsverwahrung genommen werden - im Extremfall lebenslang. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe urteilte am Donnerstag, die Verschärfung der Sicherungsverwahrung aus dem Jahr 1998 sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach dem Urteil verstößt die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen sogar nicht vorbestrafte Ersttäter über Jahrzehnte einzusperren, weder gegen die Menschenwürde noch gegen das Freiheitsgrundrecht. (Az: 2 BvR 2029/01)
Allerdings mahnte der Zweite Senat sorgfältige Gutachten über das Rückfallrisiko an. Bei der gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfung im Zwei-Jahres-Rhythmus dürfe die Sicherungsverwahrung nicht einfach routinemäßig verlängert werden. Je länger die Unterbringung dauere, desto mehr müssten die Gerichte dafür Sorge tragen, dass erfahrene Sachverständige eine zuverlässige Prognose über die fortbestehende Gefährlichkeit abgeben.
Bundesweit sind mehr als 300 Täter in Sicherungsverwahrung. Kommenden Dienstag entscheidet das Gericht über Länderregelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung.
Der Zweite Senat wies die Verfassungsbeschwerde eines 1957 geborenen notorischen Rückfalltäters aus Hessen ab, der seit seinem 15. Lebensjahr nur wenige Wochen in Freiheit war. Er hatte sich vor allem gegen die nachträgliche Anwendung der Neuregelung auf seinen Fall gewandt: 1998 war die früher geltende zehnjährige Höchstgrenze bei erstmaliger Anordnung einer Sicherungsverwahrung gestrichen worden - womit für den Beschwerdeführer der sicher geglaubte Entlassungstermin im August 2001 hinfällig war.
Die Verfassungsrichter sehen dagegen weder einen Verstoß gegen den Vertrauensschutz - in diesem Punkt stimmten allerdings zwei Richter gegen die Senatsmehrheit - noch gegen das Rückwirkungsverbot, wonach die Höhe der Strafe bereits bei Tatbegehung absehbar sein muss. Denn die Sicherungsverwahrung sei keine «Strafe», sondern diene der Verhinderung zukünftiger Straftaten.
Die Bundesregierung begrüßte das Urteil. «Wir fühlen uns darin bestätigt, dass gegen gefährliche Straftäter, die leider nicht therapierbar sind, eine Sicherungsverwahrung verhängt werden darf», sagte Justizstaatssekretär Hansjörg Geiger in Karlsruhe. Die Hinweise des Gerichts an die Vollzugspraxis müssten aber beachtet werden. Der FDP-Rechtspolitiker Jörg van Essen sagte, das Gericht stelle zu Recht hohe Anforderungen an die Gutachten und die richterliche Kontrolle.
Der Zweite Senat unter Vorsitz von Winfried Hassemer bekräftigte seinen Grundsatz aus dem Lebenslang-Urteil von 1977, dass jeder Straftäter zumindest die Chance haben müsse, wieder in Freiheit zu kommen. Auch die Sicherungsverwahrung sei auf Resozialisierung ausgerichtet. Das schließe die regelmäßige Überprüfung der Maßnahme wie auch Behandlungsangebote und - soweit möglich - eine Lockerung des Vollzugs ein. Dennoch werde die Menschenwürde auch durch eine lang dauernde Unterbringung nicht verletzt. «Es ist der staatlichen Gemeinschaft nicht verwehrt, sich gegen gefährliche Straftäter durch Freiheitsentzug zu sichern.»
© dpa - Meldung vom 05.02.2004 15:55 Uhr
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