Registriert: 12.11.2003, 01:00 Beiträge: 1868 Wohnort: Irgendwo in Deutschland
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Hallo,
hatte gerade die Rede von unserem Präsidenten vor der Knesseth gehört. Mir viel ein Satz auf und ich kam nicht umhin, an den Präsidenten zu schreiben. Weiß zwar nicht, ob das mail je auf seinem Tisch landet, aber ich musste es schreiben:
Sehr geehrter Herr Präsident Köhler,
ist stehe noch unter dem Eindruck ihrer Rede vor der Knesseth. Sie haben dort mit ihren Worten ausgedrückt was ich denke und fühle, wenn ich an die Verbrechen der Nationalsozialismus denke die ich bis heute in keinster Weise nach vollziehen kann, also sprich in keinster Weise auch nur die Gründe verstehen kann, respektive überhaut will.
Ich bin der Sohn zweier Menschen, die ihre Jugend und ihr Erwachsenwerden in jener Zeit erlebten, in der diese Greultaten geschahen. Auf diesem Wege kenne ich also einige Schilderungen aus dieser schlimmen Zeit. Zu meinem Glück waren meine Eltern keine Nazis, noch nicht einmal Mitläufer. Daher kenne ich diesen Abschnitt der deutschen Geschichte aus den Erzählungen zweier kritischer Menschen, die nicht zu allem Ja und Amen sagten.
Warum schreibe ich also heute an Sie? Zum einen um mich für diese Rede zu bedanken. Sie war längst überfällig in ihrer Klarheit. Zum anderen aber auch, weil mir ein Satz daraus nicht mehr aus dem Kopf geht. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich einfach ein wenig das Thema wechsele. Der Satz, der mir nicht aus dem Kopf geht, war der Hinweis auf den 1. Satz unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Ein sehr wichtiger Satz! Aber auch ein Satz, der mir persönlich seit fast 2 Jahren nun nicht mehr aus dem Kopf geht. Jeder Mensch trägt sein Schicksal, angefangen von der Stunde seiner Geburt bis zum letzten Atemzug. Ich selber wurde am 7.2.1959 geboren, in Berlin Adlershof, also in der damaligen DDR. Aufgewachsen bin ich allerdings im Westen, im Saarland, in einem der kleinen Dörfer, weil meine Eltern zusammen mit ihren 5 Kindern 1961 die Flucht in den Westen wagten.
Heute, über 40 Jahre später, bekam jener Satz für mich persönlich erst so richtig seine Bedeutung. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Leider galt dieser Satz für mich nicht. Wie viele meiner Leidensgenossen und Genossinnen durchlebte ich eine Kindheit, in der ich kaum Würde hatte. Sie wurde mir schon früh genommen. Erst heute habe ich die Kraft gefunden, mich daran zu erinnern und mit dieser Vergangenheit zu leben. Ich spreche von sexuellen und gewalttätigen Übergriffen, wie sie bis heute tagtäglich stattfinden. Es geht mir nicht nur um mich, es geht mir um das Schicksal von so vielen Menschen in unserem Lande. Von Kindern, deren Würde mit Füßen getreten wird und die kaum Fürsprecher finden in unserer Zeit. So wichtig Ihre Rede vor dem israelischen Parlament ist, ich frage mich mit einer gewissen Trauer, wo bleibt eine ähnliche Rede von ihnen für die Opfer des täglichen Wahnsinns? Fälle wie die des armen Pascals in Saarbrücken, wie der von Levke und anderen Opfern, die es nicht überlebten, bewegen zwar ein wenig die Öffentlichkeit, aber wir, die wir solche Taten überlebten, werden fast ignoriert, oft sogar als lästig abgetan von der Öffentlichkeit. Teilweise kämpfen wir um das nackte Überleben, und das Jahre bis Jahrzehnte nach den Taten. Viele von uns schaffen es nicht, verüben Selbstmord oder landen für immer in einer Psychiatrie. Und das oft nur, weil die Gesellschaft uns einfach ignoriert.
Mir steht sicherlich nicht zu, den Holocaust mit diesen Verbrechen an Kindern zu vergleichen. Das kann und will ich auch nicht. Aber es gibt Parallelen. Es ist die gleiche Gnadenlosigkeit, Gleichgültigkeit und die gleiche Machtbesessenheit Einzelner, die zu diesen Verbrechen führen. Ich frage mich heute noch, was haben sowohl die Täter beim Holocaust gedacht und was haben sich meine Täter gedacht. Ich kann (und will) es nicht nachvollziehen. Der Holocaust war und ist eine grausame und unmenschliche Handlung vieler an vielen schutzlosen Menschen gewesen. Der Sexuelle Missbrauch an einem Kind ist und bleibt eine grausame Handlung eines Menschen an einem anderen schutzlosen Menschen.
Beides ist in meinen Augen absolut unentschuldbar und wird es immer bleiben. Es gibt aber einen Unterschied. Dank des Engagements von Menschen wie Ihnen können wir heute versuchen, mit dem Holocaust klar zu kommen und die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, trotz der ewig Gestrigen, die es nie lernen werden. Ich kann nur hoffen, dass es wenige bleiben. Doch wann ziehen wir die Lehren aus den Verbrechen an unseren Kindern? Etwa nie?
Das fragt Sie ein oft trauriges Opfer jener unmenschlichen Verbrechen.
Danke für die gute und engagierte Rede, Michael Sascha
Soweit meine Mail...
Liebe Grüße, paea
Sascha
_________________ Der letzte Sonnenstrahl am Abend kündet nicht die Nacht sondern die Hoffnung auf den neuen Morgen
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