3-jähriges Jubiläum
Rückblick... 09.02.02 ...irgendein Tag im Februar... Ich kam von der Ausbildung nach Hause und wurde gleich von Ingo mit den Worten: „Sie ist online“ empfangen. Wow... irgendwie aufregend. Ich musste natürlich sofort als erstes zum PC... tippe ein:
www.gegen-missbrauch.de. Die Domain ist auch nicht so selbstverständlich gewesen. Interessanter Weise verbarg sich vor uns eine dubiose „Spielseite“ hinter dieser URL. Ich hatte Ingo darauf angesetzt, dort mal nachzuforschen, ob der Inhaber uns die Domain nicht für einen guten Zweck abtreten würde. Aus dem Telefonat ergab sich, dass der Inhaber noch nicht einmal wusste, dass seine Seite unter diesem Namen lief und er war sofort bereit, uns die entsprechenden Rechte zu übertragen.
So hatte der 11.09.01 also doch etwas Gutes gehabt... denn die ganze Seite war ja zunächst gar nicht so geplant. Nur nach diesem Tag „des Terrors“ in den USA trauerte die ganze Welt und jeder trug sich in ellenlange Kondolenzlisten ein... es wurden Trailer versandt und wochenlang hörte man nichts anderes in den Nachrichten. Da kam mir schnell der Gedanke, dass es so unglaublich ist, denn überall auf der Welt leiden jeden Tag Menschen... nehmen wir doch nur die ganzen Kinder, die allein in Deutschland jeden Tag sexuell missbraucht werden... wo bleiben denn da die Kondolenzlisten? Den gleichen Gedanken hatte wohl ein Kontakt von Ingo, der uns einen Trailer über den 11. September mit dem Song von Enya weiterleitete... und dazu schrieb, dass man so einen Trailer doch auch für Überlebende machen sollte.
Ja... warum eigentlich nicht? Ich glaub zwei Tage später hatte Ingo einen Trailer fertig:
http://www.gegen-missbrauch.de/new.php? ... railer.htm . Das war sehr beeindruckend und kaum war er online, schien er sich wie ein Feuer im Netz zu verbreiten... wir bekamen eine Mail, die zweite, die dritte und es wurde immer mehr und hörte nicht auf. Immer wieder wurden wir gefragt, wo denn die zum Trailer gehörige Internetseite zu finden sei... aber die gab es doch gar nicht! Wir schauten uns im Netz um, konnten kaum glauben, dass das Angebot für Überlebende sehr lau ausfiel. Und wenn es Seiten gab, waren sie für eine Information – vielleicht auch für Außenstehende – ungeeignet, weil sie entweder zu unübersichtlich waren oder aber zu einseitig emotional geschrieben.
Und so begab es sich, dass Ingo’s damalige Praktikantin gaaaaanz viel zu tun bekam. Aus einem groben Konzept entstand nach und nach eine Internetpräsenz rund um das Thema Missbrauch, wir steckten regelmäßig die Köpfe zusammen und das „Offline-Portal“ wuchs und wuchs.
Und im Februar, heute vor genau drei Jahren, ging es online. Ende des Monats folgte das Hochladen des Forums, mit 2 Usern (Ingo und Sasita
) welches wir eigentlich eher mit einem Schulterzucken mit dazu stellten – frei nach dem Motto „mal sehen ob sich da jemand einloggt“.
Und es loggte sich tatsächlich jemand ein: Conny war unsere erste Userin! Bereits einen Monat später waren 20 User im Forum unterwegs. Neue Kategorien wurden aufgemacht, zu viert gechattet, dann zu fünft... usw. Im Anschluss zu einer anderen Seite standen damals schon die ersten Gespräche bzgl. einer Vereinsgründung im Raum, die aber aufgrund diverser Faktoren wieder beigelegt wurden.
Damals war es so: Ingo war hauptsächlich für den technischen und organisatorischen und ich für den inhaltlichen und kreativen Teil zuständig. Im Grunde hat sich daran bis heute nichts geändert, nur dass wir inzwischen nicht mehr nur zu zweit sind.
Aus der Mini-Kerngruppe wurden langsam aber sicher mehr. Auch die Inhalte der Seite nahmen mit steigender Erfahrung Form an. Zum Wachstum beigetragen haben sicher auch so einige Pressebeiträge. Unsere erste Pressemitteilung am 06.05.2002 kündigte auch gleich unseren ersten Sponsor an:
http://www.missbrauch.de/presse/pressei ... strato.php. Unser erster eigener Zeitungsartikel erschien nur ein paar Tage später im Göttinger Tageblatt:
http://www.missbrauch.de/presse/pressei ... sse_gt.php. So richtig war da noch gar nicht klar, was für eine Bedeutung GM langsam bekommen würde. Wir hatten Träume, Pläne und Ziele, aber wagten es kaum, zu glauben, dass wir wirklich Erfolg haben würden. Im Februar 2003 schloss sich zu unserem großen Glück ein netter Mensch namens Hans an – heute fast ausschließlich „Der Psychodoc“ genannt. Er unterstützt seitdem GM aktiv aus therapeutischer Sicht – ersetzt sicher keine Therapie, aber ist eine unverzichtbare Hilfe für User und Team. An dieser Stelle sei ihm dafür auch von Herzen gedankt.
Es folgte die Vereinsgründung am 19. / 20. Juli 03. Mehr zum Gründungstreffen und dem Verein an sich könnt ihr unter
http://www.missbrauch.de/new.php?link=verein/infos.htm erfahren. Dass wir diese Gründung nach langem Hickhack letztlich doch so schnell umsetzen konnten, war ein großer Schritt in eine Zukunft, die wir uns auch damals noch nicht so vorstellen konnten. Unsere Pläne schienen greifbarer geworden zu sein. Zu diesem Zeitpunkt verzeichneten wir bereits 30.000 Klicks und mehr im Monat, die Seite war insgesamt etwa 240.000 Mal besucht worden und damals waren etwa 500 registrierte User im Forum.
Nur wenige Wochen später fand unser aller erstes offizielles GM-Chattertreffen in Göttingen statt. Über 30 User wagten den Schritt, sich real unter die Augen zu treten, in Ingos Garten bei Lagerfeuer und Gegrilltem kleine Schritte aufeinander zu zumachen und gemeinsam zu zelten... Dieses Treffen hatte eine riesige Wirkung auf Ingo und mich. Wir wurden glattweg umgehauen von Emotionen und Vertrauen, von Leuten, die sich dort trafen und Freundschaften knüpften, die sich alle nur kannten, weil wir im Grunde eine Schnapsidee wirklich umgesetzt hatten. Wir nahmen eine große Verbundenheit mit auf unseren weiteren Weg.
Spätestens der Fernsehauftritt bei Brisant Ende des Jahres 2003 sorgte dann für einen immensen Ansturm auf
www.gegen-missbrauch.de. Wir konnten uns noch Wochen später vor Neuanmeldungen, Anrufen und Emails kaum retten. Und so wuchs und wuchs die Internetpräsenz, die immer öfter einfach nur „GM“ genannt wurde.
Inzwischen haben wir schon ein etwas bewegen können. Einige User konnten wir real unterstützen, indem wir sie zu Ärzten und Behörden begleitet haben oder für sie Bewilligungen bei der Krankenkasse durchsetzten. Anderen konnten wir Mut zusprechen, sich vor Ort reale Hilfe zu suchen oder eine Therapie zu beginnen. Wieder andere haben sich in diesem Forum überhaupt das erste mal in ihrem Leben getraut, zu sagen, was mit ihnen passiert ist und das erste mal erleben dürfen, dass man ihnen glaubt und dass sie nicht allein sind. Wir konnten durchsetzen, dass GM keine Userdaten herausgeben muss, wenn es zu Ermittlungen kommt, haben diverse skurrile Fälle Anzeigen aufgegeben und setzen immer wieder auf Presseauftritte, um das Thema Missbrauch endlich mal von der anderen Seite in die Köpfe der Menschen zu prügeln.
Es gab mit steigender Userzahl natürlich auch zunehmend Ärger – leider nicht nur in Form von Pädophilen, die sich auf die Füße getreten fühlten, sondern auch aus den eigenen Reihen von Usern, die das Forum und den Chat nutzten, um sich gegenseitig fertig zu machen. Unruhe von Außen kommt verstärkt vor, wenn GM mal wieder jemandem konkret an den Kragen gegangen ist, indem wir zum Beispiel Anzeigen erstatteten oder Untersuchen einleiteten, welche den Untersuchten so gar nicht passten. So war es dann auch nicht allzu erstaunlich, als die ersten Morddrohungen und ähnliches ins Haus flatterten. Im Grunde hatten wir schon viel früher damit gerechnet und dennoch ist es etwas anderes, wenn es tatsächlich soweit ist.
Als viel schmerzlicher haben wir es jedoch immer empfunden, wenn mal wieder User durch ihre Lügengeschichten unzählige Leute bis tief in die Nacht damit beschäftigten, sich um sie zu kümmern, bis sich letztlich herausstellte, dass die Geschichten frei erfunden waren. Wir haben sicher daraus gelernt, unser Fell ist dicker geworden und unsere Regeln sind mehrere Male verschärft worden. Das Team wuchs und nahm wieder ab, Leute kamen und gingen wieder... das Leben hatte GM voll eingeholt. Alles in allem gehört das wohl dazu.
Mit der Kooperation mit missbraucht.de und dem ersten Aktionstag im September 2004 haben wir unseren Kurs, eher offensiv zu fahren, weiter fortgesetzt und werden dies auch in der Zukunft weiter durchziehen. 2006 wird der nächste bundesweite Aktionstag in Hamburg stattfinden – bis dahin werden wir sicher noch einige Presse-Pauken schlagen können. Wir hören nicht auf, laut zu sein, bis uns auch der Letzte gehört hat.
Und nun hat der Verein gegen-missbrauch e. V. ca. 60 Mitglieder und ein motiviertes Team. An dieser Stelle sei bemerkt, dass wir auf der Hauptseite inzwischen 820155 Besucher zählen durften. In diesem Jahr sprengen wir ziemlich klar die Millionengrenze. Weiterhin haben wir inzwischen über 1.000 registrierte User im Forum und mindestens ebenso viele im Chat. Ganz ehrlich... hätte mir das jemand vor drei Jahren erzählt: ich hätte ihn für sehr irre gehalten. Inzwischen gab es einen ganzen Haufen von Chattertreffen in ganz Deutschland und viele reale Freundschaften sind entstanden. Es laufen Projekte und in vielen individuellen Fällen konnte der Verein individuell helfen. Sogar die meisten großen Beratungsstellen haben nun inzwischen von uns gehört und mitbekommen, dass wir nicht zu den schwarzen Schafen zählen, die es leider ja auch gibt.
Auf die nächsten drei Jahre
Sasita und Ingo