Pu hat geschrieben:
Hi Nela und Ingo,
super Arbeit. Schockiert hat mich dieses, weil ich es nicht wusste:
•Genehmigung von Therapieleistungen wird im Nachhinein wieder aberkannt
•Nach OEG bleibt man ein gläserner Mensch, der seine gesamten finanziellen Verhältnisse sowiepsychische und körperliche Zustände immer offen legen muss
Damit bleibt die Belastung ja ein Leben lang erhalten- ich habe für die Betroffenen gehofft, dass nach diesem Bürokratieirrsinn irgendwann Ruhe einkehren darf und die Hilfe kommt. Gläserner Mensch zu sein ist ne furchtbare Sache.
LG,
Pu
Ich kann das nur bestätigen. In einem konkreten Fall vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen hat der Betroffene vor wenigen Wochen erst die Klage zurücknehmen müssen - um sich vor weiteren massiven Retraumatisierungen zu schützen. Zum Beispiel bestand das SG darauf, dass der Betroffene sich einer Begutachtung durch einen Gutachter in Diensten der Täterorganisation unterziehe. Dann ging es weiter, dass der Einspruch dagegen abgewiesen wurde mit dem Hinweis auf das große Vertrauen der Richterin gegenüber der Täterorganisation (Kirche), und die Vorbehalte des Opfers als unbegründete Überempfindlichkeit. Und es gab noch weitaus haarsträubenderes ...
Meine solcherart beobachtete Erfahrung führt für mich daher zu folgendem persönlichen Resumee:
Wer einen Antrag auf OEG stellt, und einen ablehnenden Bescheid vor dem SG per Klage anfechtet, muss damit rechnen, ...
1. dass man bis auf intimste Details des damaligen und heutigen (!) Lebens entblößt wird (für SMB-Opfer eine Katastrophe)
2. dass Juristen ohne hinreichend psychotherapeutische Ausbildung sich anmaßen, psychologische Beurteilungen vorzunehmen, die so prollig laienhaft sind, dass die Betroffenen massiv retraumatisiert werden
3. dass man im Leid fixiert bleiben muss, um nicht seinen eigenen Klageanspruch zu unterlaufen. Sich selber um seine Gesundung oder wirtschaftliche Wiederherstellung bemühen wird gegen einen ausgelegt.
Ich habe mich von Anwälten belehren lassen müssen, dass es im Sozialrecht legitim ist, dass die Richter selber ermitteln dürfen, also z.B. gegen den Betroffenen Argumente sammeln, über die sich die Gegenseite dann freut. Das habe ich gerade live miterlebt. Die Anwälte waren nicht in der Lage, den Betroffenen zu schützen. Obwohl es eigentlich um die Feststellung der Traumafolgen erst gehen sollten, wurden die traumatischen Reaktionsweisen des Betroffenen gegen ihn ausgelegt - im Sinne von "wie krank ist das denn?" (überspitzt). Klar, wie auch - die Richterin ist ja keine Psychologin. Sollte sie aber, wenn sie mit schwerst traumatisierten und psychisch zerbrechlichen Menschen zu tun hat und deren Seele breit offenlegt.
Ich kann und werde daher bei meiner Arbeit Betroffenen davon abraten, einen OEG-Antrag zu stellen. Das, was dabei überhaupt rauskommen kann, steht in keinem Verhältnis zu dem Risiko, dem man sich aussetzt, wenn man in einem solchen Verfahren Leute von Amts wegen in die intimsten Details seines Lebens Einblick zu gewähren hat, die das auf der psychologischen Ebene beurteilen und bewerten, die man auch an der nächsten Stammtischtheke vorfindet. Das ist m.E. Meinung nach ein zu großes Risiko. Ich werde stattdessen mein Bemühen daran setzen, bei Betroffenen deren Autonomie zu stärken und selbstbestimmte Wege zu finden, die sie unabhängig machen von Juristen, Ämtern und Behörden, die wie ein Elefant im Porzellanladen selbst noch das zertreten, was an behutsamen zarten Strukrturen mühsam in den Therapien wieder aufgebaut worden ist.