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 Betreff des Beitrags: [gm-info]: Interview im Göttinger Tageblatt
BeitragVerfasst: 11.10.2004, 19:21 
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Hallo ihrs,

heute erschien eine 3/4 Zeitungsseite voll ein Interview mit mir. Auf Grund der Größe war es mir leider nicht möglich das einzuscannen, darum vorweg der Text (ohne Layout). Dieses Interview wird in den nächsten Tagen auch in der Online-Ausgabe zu finden sein, ich hoffe dann auch die Layout-Version hier einstellen zu können:

GT-Interview mit Ingo Fock, Vorsitzender des Vereins “Gegen Missbrauch³ “Lieber falschen Verdacht äußern als einmal wegschauen³

Seit dem August 2003 sind die Betreiber der Internetseite www.gegen-missbrauch.de als Verein beim Amtsgericht Göttingen eingetragen. 70 Mitglieder aus ganz Deutschland zählt der Verein inzwischen. Jetzt gab es unter Beteiligung von “Gegen Missbrauch³ den ersten bundesweiten Aktionstag in Göttingen. Jürgen Gückel sprach mit dem Vorsitzenden Ingo Fock (40) aus Roringen.
GT: Was sind das für Mitglieder, die sich organisiert gegen sexuellen Missbrauch wenden? Ingo Fock: Wir sind überwiegend Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs oder deren Partner, aber auch viele Menschen, die bereit sind, sich für das Thema endlich einmal zu engagieren.

Wie kam es zur Gründung?
Die Internetseite gab es schon länger. Wir hatten dann die naive Idee, dass wir über einen Verein an Spenden kommen. Aber das war nur eine Hoffnung. Das Thema ist nicht werbewirksam für potenzielle Geldgeber. Man kann eher Unicef unterstützten als den Kampf gegen Missbrauch. Denn dann müsste man auch zugeben, dass wir 320000 Fälle im Jahr in Deutschland haben. Da ist die Dunkelziffer mit drin, aber es ist die offizielle Zahl, anerkannt vom
Bundesjustiz- und vom Gesundheitsministerium sowie vom Bundeskriminalamt.

Wollen Sie damit sagen, das Thema werde totgeschwiegen?
Ja, natürlich. Weil wir lieber ins Ausland schauen und uns da engagieren, als hier hinzuschauen und uns mit dem Problem missbrauchter Kinder auseinanderzusetzen.

Aber Kindesmissbrauch ist doch nicht offen zu erkennen. Vielleicht scheuen sich die Menschen vor der Gefahr einer falschen Verdächtigung? Sicher, wenn man einen falschen Verdacht äußert, kann das Folgen haben. Aber lieber einen flaschen Verdacht äußern als einmal wegschauen.

Bedenken Sie den Schaden, den derartige Vorwürfe in den Familien anrichten können, wenn sie unberechtigt sind. Man muss natürlich sehr vorsichtig vorgehen. Aber wenn ich einen Verdacht hege, sollte ich mich mal mit dem betroffenen Kind unterhalten.

Mit dem Kind? Bei der juristischen Aufklärung haben Richter immer wieder das Problem, dass solche Befragungen von Laien gerade bei kleinen Kindern die Gefahr einer Suggestion bergen, die Kinder also antworten, was der Frager hören will ­ folglich den Verdacht bestätigen, ob er falsch ist oder nicht. Es kommt natürlich auf das Alter des Kindes an. Man sollte Hilfe einer Beratungsstelle suchen, wenn es Probleme gibt. Wir kennen die Gefahr des Missbrauchs gut, etwa wenn Vorwürfe der Ehefrau ausgerechnet dann erhoben werden, wenn es vor Gericht um das Sorgerecht geht. Jeder muss sich fragen: Ist es ein bloßes Gefühl oder gibt es konkrete Hinweise auf Kindesmissbrauch? Wer sich an eine Beratungsstelle wendet, löst noch keine Prozesslawine aus.

An wen kann ich mich wenden?
Es gibt genügend Beratungsstellen in jeder Stadt, etwa den Kinderschutzbund, Pro Familia oder auch uns. (siehe Infokasten)

Was sind denn die Anzeichen, die einen Verdacht begründen?
Es gibt keine hundertprozentig typischen. Folgende Anzeichen können, aber müssen nicht bedeuten, dass ein Kind missbraucht wird: wenn es plötzlich wieder einnässt oder einkotet, wenn es Schrammen oder blaue Flecken, besonders im Genitalbereich, hat, oder wenn Kinder zu jemandem plötzlich nicht mehr hingehen wollen, sich zurückziehen oder gar sprachlos werden. Auch nicht altersgemäßes Sexualverhalten kann ein Hinweis sein.

Welche Rolle spielen die Eltern?
Sie sind natürlich erste Anlaufstelle für Kinder. Schrecklich ist, wenn Eltern den Kindern nicht glauben, nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Häufig ist das Wohl des Kindes dann sekundär, im Vordergrund steht der Ruf der Familie

Wo werden die Missbrauchsfälle in der Regel aufgedeckt ­ in der Familie oder von Nachbarn, Kindergärten und Schulen? Das kommt darauf an, wer Täter ist. Eltern scheuen sich häufig, wenn es jemand aus dem Familienkreis ist. Deshalb sind es oft Erzieher oder Lehrer. Und die sind oft überfordert, es zu erkennen.

Wie könnte sich das bessern?
Pädagogen müssen sich mit dem Thema einfach mehr auseinandersetzen. In der Ausbildung der Grundschullehrer kommt die Konfrontation mit Missbrauch nicht vor. Sie müssen Sensibilität entwickeln und Hilfsangebote kennen. Auch die Jugendämter müssen sich intensiver damit befassen. Sie sehen oft keinen Handlungsbedarf.

Tut der Staat genug?
Garantiert nicht. In meinen Augen haben wir noch immer Täterschutz-, nicht Opferschutzgesetze. Einem Raubkopierer zum Beispiel drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis, ein Missbrauchtäter kann meist mit Bewährung rechnen. Die Folgen für sein Opfer aber sind lebenslänglich. Es gibt genügend Urteile, in denen Gerichte sogar begründen, dass sie dem Täter Repressalien im Knast ersparen wollen. Das ist Täterschutz.

Das Sexualstrafrecht ist in den letzten Jahren auch unter dem Eindruck schwerer Gewalttaten gegen Kinder mehrfach verschärft worden. Reicht das nicht? Nein! Zum Beispiel ist Kinderpornografie bis heute nicht klar definiert. Noch immer werden kinderpornografische Bilder unter dem Deckmantel des FKK verbreitet. Zum anderen vermisse ich die Verantwortung der Provider. In Yahoo-Gruppen finden sich noch immer Anzeigen wie “Suche Lolitas unter zwölf Jahren³. Ich habe vielfach versucht, gegen Yahoo vorzugehen. Es fehlt die Möglichkeit, die Provider zu einer Filterfunktion zu zwingen.

Und vor Gericht?
Da haben wir das Problem, dass kindliche Opfer oft erst nach Jahren aussagen können. Bei immer noch zu geringen Strafmaßen haben Täter durch den langen Zeitablauf, der strafmildernd angerechnet wird, fast immer die Chance, mit Bewährungsstrafen davon zu kommen.

Aber das Thema wird auch auf politischer Ebene diskutiert wie nie zuvor. Es gibt genügend Fachgruppen, auch beim Justizministerium. Den Kontakt mit den Betroffenen scheuen die aber. Der beste männliche Frauenarzt der Welt wird nie die Schmerzen einer Frau während der Periode nachempfinden können. So ist es ­ auch beim besten Willen ­ mit den Leiden eines Missbrauchten.

Welche Folgen sind das?
Den Opfern wird das Urvertrauen genommen. Die Folgen sind Borderlinesyndrome, selbstverletztendes Verhalten, multiple Persönlichkeitsstörungen. Im günstigsten Fall tut man sich nur schwer mit persönlicher Nähe oder körperlichen Kontakten. Einen Eindruck kann man aus den Schilderungen auf unserer Internetseite bekommen.

Verständliche Reaktionen Betroffener. Ihr Verein besteht überwiegend aus Betroffenen. Können Sie zu diesem Thema überhaupt objektiv sein? Doch, weil wir in der Vereinsarbeit versuchen, sachlich zu informieren, nicht emotional. Der Vorteil ist: Wir wissen, wenn sich jemand an uns wendet, wovon er redet.

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Sieh nicht nur die Handlungsweise, die dich bewegt etwas zu tun,
sondern begreife den Mechanismus der dich abhält etwas zu tun,
damit du lernst etwas zu tun.


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