Hallo.
Bevor ich meine Geschichte erzähle, möchte ich sagen, dass ich weiß, dass viele von Euch hier unvergleichlich viel schlimmere Dinge erlebt haben als ich. Deshalb habe ich lange gezögert, ob ich hier etwas schreiben soll, aber ich fühle mich im Moment so allein und habe die Hoffnung, hier Menschen zu treffen, die etwas ähnliches erlebt haben.
Es ist eine lange und komplizierte Geschichte, die ich aber nur in aller Kürze wiedergeben will.
Ich bin 48 Jahre alt (w) und habe eine 14-jährige Tochter. Wir sind beide Asperger-Autisten. Meine Tochter hat im vorigen Jahr in einer darauf spezialisierten Praxis eine Autismus-spezifische Therapie begonnen. Der Therapeut war Psychologe und der (angestellte) Leiter der Praxis, ein anerkannter Experte für Autismus. Meine Tochter, die viele Probleme im Umgang mit anderen Menschen hat, fühlte sich von Anfang an sehr wohl. Ich habe den Therapeuten im Rahmen der Elterngespräche näher kennen gelernt und war ebenfalls begeistert von seiner Kompetenz und seiner menschlichen Wärme. Wir haben immer öfter das Gespräch miteinander gesucht, und er hat mir auch Hilfe bei meinen persönlichen Problemen angeboten. Ich leide unter Depressionen und Ängsten, und durch meinen Autismus ist mein Alltag sehr schwierig, meine Ehe kriselte seit längerer Zeit. Der Therapeut sagte mir, er sei auch Asperger und habe ebenfalls Eheprobleme.
Ich habe mich in ihn verliebt, ich konnte nichts dagegen tun. Bei ihm habe ich mich so gut aufgehoben gefühlt, und er hat sich so toll um meine Tochter gekümmert. Er sagte uns oft, wir seien etwas ganz Besonderes und er würde auch nach der Therapie unser Freund bleiben. Zum ersten Mal habe ich mich so angenommen gefühlt, wie ich bin - es war traumhaft, als käme man nach allden Jahren endlich "nach Hause". Und es wurde noch schöner: Auch er verliebte sich in mich! Wir trafen uns mehrmals außerhalb der Praxis und schrieben uns täglich viele Mails. Er sagte, ich sei seine ganz große Liebe und er wolle sein Leben mit mir und meiner Tochter teilen. Ich trennte mich von meinem Mann, sagte ihm aber nicht den Grund. Der Therapeut meinte, wir sollten die Therapie meiner Tochter nicht gefährden und unsere Liebe deshalb geheim halten. Er werde sich aber auch von seiner Frau trennen, und dann würden wir bis an unser Lebensende zusammen bleiben.
Es kam anders: Er schaffte es nicht, von seiner Frau zu trennen. Ich bemerkte seine Zweifel und sprach ihn darauf an, aber er sagte, er gehöre zu mir. In dieser Situation entdeckte mein Mann durch eine von mir aus Versehen nicht gelöschte Mail, dass der Therapeut mein neuer Freund war. Er war sehr wütend und drohte, alles seiner Chefin und seiner Frau zu erzählen. Nun musste mein Freund selbst beiden die Sache beichten. Erst später erfuhr ich, dass er dabei nicht die Wahrheit gesagt hatte, sondern behauptet hat, es sei alles von mir ausgegangen, ich hätte ihn geküsst und er hätte es nur erwidert. Und ich sei diejenige gewesen, die eine gemeinsame Zukunft geplant hatte, er habe das nie gewollt. Er hat mich dann von einem Tag auf den anderen verlassen, weil er seine Ehe und seinen Job retten wollte und hat mir noch Anweisungen erteilt, dass ich seiner Frau und seiner Chefin nichts sagen solle. Er sagte, es tue ihm sehr leid, aber er habe gemerkt, dass das mit uns nicht richtig sei und dass er seine Frau liebe. Er habe es mir nicht sagen wollen, um mich nicht zu verletzen, und es sei auch so schön gewesen, von mir so geliebt zu werden.
Es war für mich entsetzlich. Am liebsten wäre ich gestorben. Ich habe ihn so geliebt, habe ganz fest auf ihn gebaut, und er war einfach weg. Und ich war im Endeffekt nur eine "Gefühlstankstelle" für ihn. Ich habe mich selbst verletzt, habe fast 10 Kilo abgenommen, musste Tabletten nehmen, um überhaupt weitermachen zu können. Ich habe verzweifelt versucht, ihn zu erreichen. Ich dachte, er würde nach all den Versprechen wenigstens mein Freund bleiben und mir durch diese schwere Zeit helfen. Er hat jeden Kontakt blockiert. Mein Mann tobte, war wütend, beschimpfte mich, meine Tochter war todtraurig, dass sie den besten Freund verloren hatte und spricht seitdem kein Wort mehr mit ihrem Vater, der nach dem Bekanntwerden der Beziehung ihre Therapie sofort beendet hatte, weil ihm natürlich jedes Vertrauen in die Praxis fehlte.
Die Situation ist nun folgende: Mein Mann wird den Therapeuten anzeigen, weil er juristisch gesehen keine Beziehung zu mir hätte anfangen dürfen. Ich habe meinem Freund ja versprochen, nichts zu tun, was ihm schaden könnte. Aber als es mir immer schlechter ging, habe ich mir bei mehreren Beratungsstellen Rat geholt. Dabei habe ich erfahren (von zwei Psychologen), dass es sich bei dem Geschehenen nicht um eine schlichte Liebesgeschichte handelt, sondern dass es eindeutig sexueller Missbrauch in der Therapie gewesen sei. Ich habe den Mann ja nicht als "normalen" Menschen kennen gelernt und erlebt, sondern nur in der Rolle des bewunderten Therapeuten. Auch wenn ich nicht seine Patientin gewesen bin, hätte es sich doch um eine Beratungssituation gehandelt und er hätte deshalb niemals eine persönliche Beziehung zu mir aufnehmen dürfen. Zwischen Therapeut und Patient/Ratsuchendem existiert immer ein enormes Machtgefälle und ein Abhängigkeit. Deshalb ist auch mein Sturz so tief und die Depression so heftig.
Ich werde nun wohl bei einem eventuellen Strafprozess aussagen müssen, als Zeugin. Ich bin völlig fertig - ich will meinem Freund nicht schaden. Ich glaube ihm, dass er mir nicht mit Absicht so geschadet hat. Aber auf der anderen Seite hat er mir so unendlich weh getan, hat mich und meine Tochter in einer schwierigen Lage, die er ja mit verursacht hat, so völlig allein und im Stich gelassen. So schlecht ging es mir noch nie. Der Verstand (und die Ratgeber) sagen: Er hat sich falsch verhalten, hat unerlaubt Grenzen überschritten und uns geschadet. Und das Herz wartet unermüdlich darauf, dass er zurückkommt, vor der Tür steht und alle seine wunderschönen Versprechen einlöst. Ich bin innerlich völlig zerrissen und so traurig und allein wie nie zuvor in meinem Leben. Ich liebe ihn trotz allem noch so sehr. Und ich bin mir sicher, nie wieder jemanden so sehr lieben zu können. Es war, als wäre der schönste Traum wahr geworden, als wäre nach all den Jahren doch noch der "Märchenprinz" erschienen.
Oft suche ich die Schuld bei mir, denke, ich war einfach nicht gut genug, sonst hätte er seine Versprechen wahr gemacht.
Hat einer von Euch ähnliches erlebt? Wie seid Ihr mit der Situation klar gekommen?
Danke! caro
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