Hallo,
ich bin neu hier und konnte mich leider nirgendwo angemessen vorstellen - ich hoffe, dass ihr trotzdem gerne meinen Beitrag lest.
Zu mir und meiner Situation: Ich bin 34 Jahre alt, verheiratet und verschwägert mit einem seit einer Woche verurteilten Missbraucher. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und er wird in Berufung gehen.
Kurzfassung: Seit über einem Jahr läuft dieser Prozess, in dem es um Missbrauch Schutzbefohlener geht - er soll in einem Ferienlager einem Mädchen mehrfach in den Intimbereich gefasst haben (er als Jugendleiter, ca. 33 Jahre, das Opfer 15 Jahre). Das Opfer hat ihn erst jetzt, ca. 8 Jahre später, angezeigt, um mit der Sache abschließen zu können. Sie ist selbstmordgefährdet, depressiv und leidet unter sexuellen bzw. sozialen Störungen. Die Richterin hat keine Gründe gefunden, warum sich das Mädchen alles ausgedacht haben sollte und hat anscheinend genügend Anhaltspunkte gegen ihn gefunden - er wurde zu 130 Tagessätzen a 50€ verurteilt, sprich vorbestraft wegen sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener.
Von dem Prozess haben wir über DRITTE erfahren, er hat bis gestern nicht ein Wort dazu gesagt. Selbst meine Schwiegereltern, die als Zeugen mit aussagen mussten, wussten wochenlang nicht, was da gerade läuft. Er lebt so in den Tag hinein, als ob nichts passiert wäre, da er UNSCHULDIG ist und NIE ETWAS GEMACHT HAT. Das Gericht, die Zeitung - alle wollen ihm was Böses und er ist das arme Opfer.
Wir haben lange überlegt, ob wir - wie alle anderen - auch schweigen oder ihm unseren Standpunkt mitteilen. Das Verhältnis zu ihm war nie gut, da er alle um sich herum von oben herab behandelt. Wir sind die Einzigen in der Familie, die seine Unschuld anzweifeln und eine Verurteilung wegen Missbrauch als untragbar ansehen. Hätten wir nichts gesagt, hätten wir alle weiteren Familienfeste mit eiserner Miene absitzen müssen und es hätte irgendwann geknallt.
Vor drei Tagen haben wir ihm eine Nachricht geschrieben, dass wir das Ganze mitbekommen haben und sein ignorantes Verhalten nicht akzeptabel finden. Dass wir von ihm Information oder Erklärungen erwartet hätten und auf dieser Basis keinen persönlichen Kontakt mehr wünschen. Dass wir allen anderen zuliebe keine Familienfeste boykottieren, aber das er mehr nicht erwarten braucht. Als Antwort kamen nur Vorwürfe, WIR hätten ihn fragen müssen, er könne ja nicht ahnen, dass sowas andere mitbetrifft, er sei sowieso unschuldig und würde für sein Recht kämpfen und das, was wir gesagt hätten wäre kein Familienzusammenhalt. Wir hätten ihn darauf ansprechen müssen, er dachte ja, es interessiert uns nicht. (mein Mann wurde am Arbeitsplatz darauf angesprochen, BEVOR wir überhaupt vom Prozess wussten!!!!)
Wir fragen uns nun...war es falsch den Mund aufzumachen? Hätten wir die Familie mit Heuchelei stabilisieren sollen? Darf man diesen Standpunkt haben? Machen wir aus einer Mücke einen Elefanten? Übertreiben wir? Wir haben beide Bauchschmerzen bei dem Gedanken ihn treffen zu müssen, ganz ehrlich, für uns ist er gestorben.
Was meint ihr dazu? Ich würde mich über Meinungen freuen, denn wir zweifeln schon sehr...
Danke, Angel81
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