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 Betreff des Beitrags: Wer nicht schweigt zerstört die Familie
BeitragVerfasst: 15.10.2015, 11:09 
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Registriert: 15.10.2015, 09:44
Beiträge: 3
Hallo,

ich bin neu hier und konnte mich leider nirgendwo angemessen vorstellen - ich hoffe, dass ihr trotzdem gerne meinen Beitrag lest.

Zu mir und meiner Situation: Ich bin 34 Jahre alt, verheiratet und verschwägert mit einem seit einer Woche verurteilten Missbraucher. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und er wird in Berufung gehen.

Kurzfassung: Seit über einem Jahr läuft dieser Prozess, in dem es um Missbrauch Schutzbefohlener geht - er soll in einem Ferienlager einem Mädchen mehrfach in den Intimbereich gefasst haben (er als Jugendleiter, ca. 33 Jahre, das Opfer 15 Jahre). Das Opfer hat ihn erst jetzt, ca. 8 Jahre später, angezeigt, um mit der Sache abschließen zu können. Sie ist selbstmordgefährdet, depressiv und leidet unter sexuellen bzw. sozialen Störungen. Die Richterin hat keine Gründe gefunden, warum sich das Mädchen alles ausgedacht haben sollte und hat anscheinend genügend Anhaltspunkte gegen ihn gefunden - er wurde zu 130 Tagessätzen a 50€ verurteilt, sprich vorbestraft wegen sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener.

Von dem Prozess haben wir über DRITTE erfahren, er hat bis gestern nicht ein Wort dazu gesagt. Selbst meine Schwiegereltern, die als Zeugen mit aussagen mussten, wussten wochenlang nicht, was da gerade läuft. Er lebt so in den Tag hinein, als ob nichts passiert wäre, da er UNSCHULDIG ist und NIE ETWAS GEMACHT HAT. Das Gericht, die Zeitung - alle wollen ihm was Böses und er ist das arme Opfer.

Wir haben lange überlegt, ob wir - wie alle anderen - auch schweigen oder ihm unseren Standpunkt mitteilen. Das Verhältnis zu ihm war nie gut, da er alle um sich herum von oben herab behandelt. Wir sind die Einzigen in der Familie, die seine Unschuld anzweifeln und eine Verurteilung wegen Missbrauch als untragbar ansehen. Hätten wir nichts gesagt, hätten wir alle weiteren Familienfeste mit eiserner Miene absitzen müssen und es hätte irgendwann geknallt.

Vor drei Tagen haben wir ihm eine Nachricht geschrieben, dass wir das Ganze mitbekommen haben und sein ignorantes Verhalten nicht akzeptabel finden. Dass wir von ihm Information oder Erklärungen erwartet hätten und auf dieser Basis keinen persönlichen Kontakt mehr wünschen. Dass wir allen anderen zuliebe keine Familienfeste boykottieren, aber das er mehr nicht erwarten braucht.
Als Antwort kamen nur Vorwürfe, WIR hätten ihn fragen müssen, er könne ja nicht ahnen, dass sowas andere mitbetrifft, er sei sowieso unschuldig und würde für sein Recht kämpfen und das, was wir gesagt hätten wäre kein Familienzusammenhalt. Wir hätten ihn darauf ansprechen müssen, er dachte ja, es interessiert uns nicht. (mein Mann wurde am Arbeitsplatz darauf angesprochen, BEVOR wir überhaupt vom Prozess wussten!!!!)

Wir fragen uns nun...war es falsch den Mund aufzumachen? Hätten wir die Familie mit Heuchelei stabilisieren sollen? Darf man diesen Standpunkt haben? Machen wir aus einer Mücke einen Elefanten? Übertreiben wir?
Wir haben beide Bauchschmerzen bei dem Gedanken ihn treffen zu müssen, ganz ehrlich, für uns ist er gestorben.

Was meint ihr dazu? Ich würde mich über Meinungen freuen, denn wir zweifeln schon sehr...

Danke,
Angel81


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 Betreff des Beitrags: Re: Wer nicht schweigt zerstört die Familie
BeitragVerfasst: 15.10.2015, 17:09 
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Registriert: 03.05.2014, 16:10
Beiträge: 795
Hi Angel 81, ich habe habe selbst geschwiegen.
Große Angst gehörte dazu, ich hätte die einfachsten Lebens-
umstände verloren, weil meine Erze#ger eine sehr große Sympathie
besaßen und auch Machtmenschen zu Freunden hatten :!: Aber im Grunde
bin ich der Meinung, Schweigen ist falsch :!: Ich finde es sehr mutig von Euch,
es nicht zu verschweigen.
Mehr kann ich im Moment nicht sagen.
Erst mal ein herzliches Willkommen hier.
LG Minou :respekt:


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 Betreff des Beitrags: Re: Wer nicht schweigt zerstört die Familie
BeitragVerfasst: 15.10.2015, 19:04 
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Registriert: 07.09.2013, 11:31
Beiträge: 844
Hallo Angel81,

auch von mir erst einmal ein "Herzliches Willkommen".

Ich finde es mutig von Euch, dass Ihr den Mund aufgemacht habt. So etwas kann man nicht einfach unter den Tisch kehren. Ich finde, diesen Standpunkt darf man auch sehr wohl haben und vor allem auch äußern. Man kann doch nicht zu Familienfesten gehen und so tun, als wäre nichts geschehen. Das wäre ja wirklich Heuchelei und an solchen Dingen erstickt man wahrscheinlich auch irgendwann.

Meiner Meinung nach habt ihr das vollkommen richtig gemacht und wenn die anderen das nicht verstehen, dann ist das deren Problem (sorry, dass ich das so direkt schreibe :-)) Man würde sich ja auf weiteren Treffen auch überhaupt nicht mehr wohl fühlen. Immer würde dieses Thema in der Luft rum schwirren. Ich finde, Ihr habt das richtig gemacht :bindafür:

Liebe Grüße Melanie :-)

_________________
Auch ein langer Weg beginnt mit einem ersten Schritt...


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 Betreff des Beitrags: Re: Wer nicht schweigt zerstört die Familie
BeitragVerfasst: 15.10.2015, 19:17 
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Registriert: 17.09.2005, 11:51
Beiträge: 3307
hallo

leider ist es sehr häufig der fall, dass nicht die täter als diejenigen gesehen werden, die eine familie zerstören, sondern diejenigen, die nicht mehr wegsehen wollen, die das thema offen zur sprache bringen.
es ist absurd, aber nicht die tat, sondern das sich darüber autauschen wollen, das nachfragen oder was auch immer die familienstrukturen dann als "finger in die wunde legen" wahrnehmen, das wird geächtet.

aber manchmal bringt es die menschen zum nachdenken, manchmal erwächst daraus ein offenerer und zugewandterer kontakt untereinander.
ich wünsche es dir und euch

grüße
dieBirmas

_________________
Der Hass auf das Böse hat ein beängstigend gutes Gewissen.
Jacques Wirion


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 Betreff des Beitrags: Re: Wer nicht schweigt zerstört die Familie
BeitragVerfasst: 16.10.2015, 08:50 
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Registriert: 15.10.2015, 09:44
Beiträge: 3
Vielen, vielen Dank für eure lieben Antworten, das tut der Seele gut.

Gestern hatten wir ein intensives Gespräch mit meinen Schwiegereltern und ich hatte das Gefühl, dass sie uns zumindest nicht dafür verurteilen oder ablehnen.
Akzeptieren können sie es aber wohl nicht - mein Schwiegervater sieht es jetzt als seine Aufgabe an "die Familie wieder zusammen zu bringen" und möchte, dass sich die Brüder aussprechen. Gleichzeitig gibt er aber zu, dass der "Täter" schon immer arrogant und ignorant war und von ihm aus nichts zu erwarten ist. Was soll dann so ein Gespräch bringen?

Mein Mann hatte nach einer Trennung selber eine schwierige Phase und das setzen die jetzt gleich - "wir haben damals dir geholfen, jetzt helfen wir ihm" - für meinen Mann steht das natürlich in keinem Verhältnis und es hat ihn extrem gedemütigt.

Ich habe gestern beschlossen zu einer Beratungsstelle zu gehen, um den Kopf wieder klar zu kriegen, ich hoffe, dass es mir hilft. Mein Mann begleitet mich, ist eher etwas skeptisch, aber bereit, sich das anzuschauen.

Erst gestern hat er mir erzählt, dass ein Kunde - Staatsanwalt - ihn gefragt hat, ob er "den" kennt (mein Mann trägt ein Namensschild und der Nachname ist eher selten)...er hat es geleugnet...
Ich selber hoffe, dass es keiner kapiert, da ich meinen Namen behalten habe...ich arbeite im Auftrag vom Jugendamt...ganz fatal...

Soviel zum Sachstand, ich freue mich über jeden Beitrag, die Zweifel sind schon blasser geworden, danke euch allen!!!

Angel


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 Betreff des Beitrags: Re: Wer nicht schweigt zerstört die Familie
BeitragVerfasst: 18.10.2015, 08:43 
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Registriert: 29.09.2015, 20:03
Beiträge: 35
Wohnort: Berlin
Liebe Angel,

in mir brodelt es, wenn ich von deinem Schwager lese.

Mal sehen, ob ich es hinkriege, in Worte zu fassen, was mich so wütend macht.

Ich finde es typisch für einen Missbraucher, dass er seine Umwelt manipuliert: Es ist alles nicht so schlimm und wichtig. Ihr fühlt das falsch. Ihr seid völlig daneben, ich war es nicht. Ihr seid falsch, wenn ihr nicht zur Familie haltet.

Wenn jemand mich beschuldigen würde und ich ich wäre unschuldig. Ich würde zusammen brechen. Ich würde meine engen Freunde und meine Familie um Rat fragen. Ich könnte es nicht für mich behalten. Und ich würde mich entsetzlich schämen. Und ich hätte Riesenangst, dass es mir jemand zutraut.

Da liegen doch Welten zwischen.

Und Schweigen ist für mich auch Zustimmung. Ich finde es mutig und richtig, wie ihr euch verhaltet. Viel Kraft dabei, so weiter zu machen. Ich hoffe, es gelingt euch, nicht mit der ganzen Familie brechen zu müssen. Das Gespräch mit euren Schwiegereltern klingt doch schon ermutigend.

Viele Grüße
greensleeves

_________________
Keine Macht den Depressionen!


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 Betreff des Beitrags: Re: Wer nicht schweigt zerstört die Familie
BeitragVerfasst: 26.10.2015, 13:00 
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Registriert: 15.10.2015, 09:44
Beiträge: 3
Hallo Ihr Lieben,

@greensleeves...deine Antwort hat mir aus der Seele gesprochen, danke dafür!

Es sind nun einige Tage vergangen und das Thema scheint irgendwie wie ein Maulwurf alles zu untergraben, aber keiner sieht es.

Eine Freundin ist im Jugendamt tätig und war tatsächlich der Meinung, dass wir meinen Stiefsohn (8 Jahre alt) über ALLES aufklären sollten. Man muss dazu wissen, dass das Verhältnis zu seiner Mutter sehr angespannt ist...also soll ich ihm sagen, dass sein Onkel was ganz böses gemacht hat (obwohl es nicht bewiesen ist), somit sein Weltbild zerstören UND riskieren, dass er es der Mama erzählt und es so noch weitere Kreise zieht?! Geht meiner Meinung nach gar nicht...

Meine Schwiegereltern scheinen weiterhin fröhlich Oma und Opa zu spielen - ok, die Kinder können nichts dafür, aber zu hören, dass sie dort unbedarft zu Besuch hingehen ist irgendwie merkwürdig... Vor allem ist meine Schwiegermutter früher fast jede Woche in Tränen ausgebrochen, weil sie die Enkel kaum sieht, meine Schwägerin nur an ihrer eigenen Mutter klebt und sie keinen Familiensinn bei den beiden sieht. Und dann jetzt so?

Im Dezember steht der 70. Geburtstag meines Schwiegervaters an und mir graut davor...zwar werden wohl viele Leute auch außerhalb der Familie erscheinen, somit kann man sich schön in der Menge verstecken, aber neeee....freuen tue ich mich nicht.
Ich habe ja schon überlegt, ob ich die überhaupt begrüßen kann...Handschlag etc....würdet ihr das schaffen bzw. überhaupt wollen? Oder reicht es, wenn ich deren Anwesenheit toleriere aber ignoriere?

Kennt ihr das Gefühl, dass etwas eigentlich unfassbar schlimmes im Sande zerlaufen kann? Und dass ihr anfangt die Menschen zu verachten, die das zulassen und schweigend daneben stehen?

Gruß,
Angel


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