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 Betreff des Beitrags: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 08.01.2016, 22:05 
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Beiträge: 8
Es war einmal ein Geräusch. Ein kleines, lustiges, abenteuerliches, freches, wildes Geräusch. Dieses kleine Geräusch verkleidete sich am liebsten als Nachtgespenst und geisterte ungesehen durch die Welt, erlebte große und kleine Abenteuer und hat diebischen Spaß dabei andere zu erschrecken. Eines Tages jedoch als das Geräusch 5 Jahre alt war, wurde es auf einmal ganz traurig und bekam ganz viel Angst. Es fühlte sich hilflos, traurig, verraten und schämte sich sehr. Das kleine Geräusch wurde des Nachts oft vom schwarzen Mann besucht, der ihr sagte er sei nicht der, von dem sie glaubt das er es sei. Er bedrohte das kleine Geräusch und machte ihm ganz viel Angst. Daraufhin entschloss sich das kleine Geräusch mit ihrer Gespensterverkleidung in den tiefsten Winkel des Schlosses zu verziehen und in einen tiefen und langen Schlaf zu fallen.
Heute 22 Jahre später ist das Geräusch zurück gekehrt und obwohl es versucht hat tief und fest zu schlafen, hat es trotzdem alles mit bekommen was passiert ist.
Das ist meine Geschichte. Ich bin das Geräusch und der schwarze Mann ist mein Vater, der jede Nacht in mein Zimmer kam und mich missbrauchte und vergewaltigte.
Dieser Eintrag ist ein erster Schritt um die Albträume in Realität und die Realität in Erinnerungen zu verwandeln. Ein erster Schritt dem Geräusch eine Stimme zu geben, mir selbst zu zuhören und entgegen aller Ängste laut auszusprechen was passiert ist.
Ich bin jahrelang vergewaltigt worden und schäme mich heute in Grund und Boden dafür. Mit dem aufschreiben meiner Geschichte versuche ich der Scham in´s Auge zu blicken und mich nicht von meinen Ängsten sondern von der Liebe leiten zu lassen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 09.01.2016, 11:33 
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Registriert: 27.11.2006, 12:08
Beiträge: 2046
Hallo Nachtgespenst. Sehr berührend, deine kleine Geschichte. Und sehr mutig, sie hier mit Erklärung aufzuschreiben. Viel Kraft auf dem Weg,

Pu


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 09.01.2016, 11:37 
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Registriert: 08.12.2013, 12:31
Beiträge: 1512
Danke :ja:


:cry:

_________________
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold... und wer bezahlt (dafür)?


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 09.01.2016, 13:42 
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Registriert: 08.01.2016, 20:08
Beiträge: 8
Danke für eure lieben Worte und euren Support. Es tut gut!

:blume:


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 09.01.2016, 13:43 
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Beiträge: 8
Wenn wir uns auf den Weg machen unser innerstes zu ergründen, wissen wir am Anfang oft nicht was und wen wir alles auf dem Weg treffen werden. Ich möchte hier einen Teil von meinem Weg teilen, so dass wenn du auf dem Weg bist und Angst bekommst oder glaubst dich verlaufen zu haben, ein kleines Licht findest.
Auf dem Weg in mein inneres habe ich viele große und kleine Abenteuer erlebt, alte Freunde getroffen, verzauberte Fabelwesen, große Drachen, beschützende Wildschweine, Geister, Dämonen, wunderschöne Erinnerungen, Liebe und das Recht bedingungslos Lieben zu dürfen und am allermeisten habe ich Angst gefunden. Die Angst vor der Angst, die Angst vor dem Sterben, die Angst davor getöten zu werden, die Angst davor verlassen zu werden, die Ansgt davor geliebt zu werden, die Angst davor berührt zu werden, die Angst davor nochmal hilflos zu sein, die Angst davor nochmal vergewaltigt zu werden, die Angst vor meiner Scham, die Ansgt mir einzugestehen das all dass wirklich passiert ist und auch die Angst davor bestraft zu werden, die Angst davor das ich mir alles doch bloß eingebildet habe, die Angst davor das man mir nicht glaubt, die Angst davor das ich mir selbst nicht glaube. Es gab Momente, Stunden und Tage, an denen ich geglaubt habe das ich jetzt verrückt werde vor lauter Angst! Das ich platze, das ich zerreiße, das ich an der Angst sterbe.
Ich habe immer wieder das Gefühl das die Angst in Wellen kommt. Mal großen, mal kleinen, mal als Flut, mal schnell und mal langsam.
Ein anderes Bild wäre das ich auf meiner Reise zu mir selbst immer wieder vor verschlossenen Türen Stand und diese Türen von Bulldoggen bewacht werden. Jedesmal, wenn ich versuche einen Schritt vorwärts zu gehen und die nächste Tür aufmache, muss ich vorher mit meiner Bulldogge dealen. Je mehr ich versucht habe meine innere Bulldogge los zu werden, desto größer wurde sie. Sie ist gewachsen, wurde lauter, bekam viele Köpfe und war so unendlich viel Stärker als ich. Sie hat mich bedroht, erpresst, mich verängstigt. Ich habe angefangen meine Bulldogge zu beobachten und mit der Zeit habe ich raus gefunden, dass meine Bulldogge vom Zweifel genährt wird, von der Angst nicht richtig zu sein, von Konflikten und auch von Scham. Je mehr ich also versucht habe dagegen zu kämpfen, desto größer wurde sie dadurch. Je mehr ich versucht habe gegen mich selbst zu kämpfen, desto größer wurde sie dadurch. Je mehr ich versucht habe keine Angst zu haben, desto größer wurde die Angst. Je stärker ich meine Gefühle, meine Scham und mich selbst negiert habe, desto größer wurde der Hass auf mich selbst und umso größer wurde die Bulldogge der Angst.
Wenn ich aber meiner Angst erlaube da zu sein. Bedingungslos da sein zu dürfen. Wenn ich ihr die Erlaubnis erteile das die Angst da sein darf, mit all ihrem Gepäck: der Hilflosigkeit, der Scham, der Furcht, dem Zähneklappern und mit den Knien schlottern. Wenn ich mir erlaube genau so zu sein wie ich bin und aufhöre krampfhaft Sicherheit, Tapferkeit und Mut zu simulieren. Wenn ich mich Liebe genau so wie ich bin, dann gibt es keine Angst, mehr. Die Angst kann einen nur besiegen, wenn man gegen sie kämpft aber nicht wenn man sie lieben lernt.
Und die Bulldogge war verschwunden und die nächste Tür ging auf.

Es ist normal, dass wenn du direkt an der Grenze, vor deiner nächsten Tür stehst, dass alle Ängste gleichzeitig hochkommen und dir ihr furchtbarstes, fratzenhaftes Gesicht zeigen. Sie wollen dir Angst machen, sie wollen dich davon abhalten durch diese Tür zu gehen. Doch du musst durch diese Tür gehen, dass allein ist der nächste Schritt. Alle Kräfte der Illusion und der Angst verbünden sich gemeinsam, um dich davon abzuhalten den nächsten Schritt zu gehen aber das zeigt nur das du auf dem richtigen Weg bist.
Vergiss nie das du jeden Moment die Möglichkeit hast, dich für die Angst und all ihre Illusionen zu entscheiden, oder für die Liebe. Ich hatte das fast vergessen auf meinem Weg.

It´s always darkest before the dawn.

https://www.youtube.com/watch?v=v6VRPldFRCw


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 09.01.2016, 14:05 
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Registriert: 19.10.2011, 21:47
Beiträge: 1012
Wohnort: Hamburg
Hallo Nachtgespenst, herzlich willkommen hier im Forum. Deine Geschichte hat mich auch sehr berührt. Du kannst sehr stolz auf Dich sein, dass Du den Mut gefunden hast, sie in Worte zu fassen und hier aufzuschreiben. Der erste Schritt ist meistens der schwerste! Ich wünsche Dir viel Kraft für Deinen Weg und viele heilende Schritte weg von Angst und Scham. DU bist nicht diejenige, die sich schämen muss …aber ich glaube, dass weißt Du auch schon.

Alles Gute für Dich und liebe Grüße von Petra

_________________
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz)


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 09.01.2016, 21:15 
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Registriert: 08.12.2014, 22:58
Beiträge: 26
Hallo Nachtgespenst,
auch von mir ein HERZLICH WILLKOMMEN!
Ich war sehr gerührt von deinen Worten und beeindruckt von deiner Stärke. Es beweist viel Mut sich so zu offenbaren. Ich bin mir sicher, dass du auf dem richtigen Weg bist das alles zu verarbeiten. Anstatt dich zu verkriechen und abzuschotten öffnest du dich und nimmst dein Schicksal an!
Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft auf deinem Weg!
Liebe Grüße,
Lou Ping

_________________
Bona praesentis, carpe laetus horae.
Genieße froh das Gute der Gegenwart.


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 10.01.2016, 11:02 
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Registriert: 08.01.2016, 20:08
Beiträge: 8
ROT ist die Farbe der Scham und der Liebe.
Früher geschah es, dass das junge Mädchen
Mit geröteten Wangen
Scheu seine Augen senkte
Vor dem Blick seines Geliebten.
Und nie ist man offener
Für das Leben
Als wenn man errötet.
Die ROTE SCHAM ist kraftvoll und pocht vor Leben.
Sie hilft uns,
unser Privatestes und Intimstes zu verteidigen.
WEISS ist die Farbe der Unschud und des Todes. Aber weiß ist auch das unbewegte Gesicht
Des vor Scham paralysierten Menschen.
Er ist totenbleich,
weil er von einer Scham geplagt wird
von solch zerstörerischer Stärke,
dass sie alles Leben
vertreibt.
Die WEISSE SCHAM verwüstet und lähmt.
Sie ist eine verbündete des Todes.
Sie drängt sich in unser Privatestes und Intimstes.
Else-Britt Kjellqvist



Ich habe mich in der letzten Zeit oft gefragt, warum ich mich denn so sehr schäme. Stellenweise ist meine Scham so groß das ich mich an den Missbrauch und die Vergewaltigung nicht erinnern kann. Es war für mich ganz lange nicht klar das ich mich überhaupt schäme und das ich mich dafür schäme was man mit mir gemacht hat. In diesem Eintrag befasse ich mich mit meiner eigenen Scham und meinen Schuldgefühlen und die Frage wie diese Zusammenhängen.
Ich glaube das ich den Unterschied zwischen Scham und Schuld heute ein bisschen besser verstehe. Scham bedeutet für mich, dass mit mir als Person etwas nicht in Ordnung ist- ich bin fehlerhaft und dafür schäme ich mich. Schuld hingegen ist die Auseinandersetzung mit der Frage, ob man einen Fehler gemacht hat. Dies hat insbesondere im Zusammenhang mit meinen Missbrauchserfahrungen 2 Ebenen für mich:
1. Die gesellschaftliche Schuldverteilung, also das man per se mir nicht glaubt, mich fragt ob ich mich denn stark genug gewährt hätte, meine Erinnerungen anzweifelt etc. Es wird mir das Gefühl gegeben das ich etwas falsch gemacht habe.
2. Die familiäre Schuldzuweisung. Immer dann wenn Kinder missbraucht werden, werden ihnen zum einen Lügen aufgetischt damit sie sich nicht wehren und nicht darüber reden. Zum anderen gibt es aber auch in einer Reihe von Situationen mitwisser. Mir wurde konkret gesagt, dass ich es nicht besser verdient hätte als missbraucht zu werden, von meinem Vater. Während meine Mutter mir per se immer an allem die Schuld gab und mit ihrem Mitwissen mir auch hier indirekt die Schuld mit gab.
Ich habe also gelernt das ich Schuld bin an dem was mit mir gemacht wird. Diese verinnerlichten Schuldgefühle nagen jeden Tag an mir, egal wie sehr ich weiß das ich keine Schuld habe und kaum Verantwortung tragen konnte als Kind. Gleichzeitig hat die Schuldfrage für mich aber noch eine zweite Ebene: Solange ich mir die Schuld gebe bedeutet das dass ich es hätte verhindern können und solange ich es hätte verhindern können, war ich zu keinem Zeitpunkt hilflos. Denn die Schuldgefühle sind das kleinere Übel als die Hilflosigkeit. Denn die Hilflosigkeit kann immer wieder kommen und ich darf nicht hilflos sein, denn wenn ich hilflos bin, sterbe ich. Und aus dem Kontrollzwang heraus, nie wieder in Unsicherheit und Hilflosigkeit zu geraten scheint es schier unmöglich die Schuldgefühle los zu lassen.

Mit der Scham ist es für mich etwas komplizierter und ich habe es auch noch nicht komplett durchdrungen. Wenn mir jemand die Entstehung von Schamgefühlen erklären kann, würde ich mich sehr über einen Austausch freuen!
Ich hab für mich raus gefunden das ich einen sehr großen Wunsch habe jederzeit lückenlos und fehlerfrei zu funktionieren.Die Idee ist, dass je besser ich funktioniere, um so unauffälliger bin ich, umso geringer ist die Gefahr das ich wieder etwas falsch mache, umso geringer ist die Gefahr das ich bestraft werde. Ich hab für mich in den letzten 27 Jahren also roboterhaftes-funktionieren als Sicherheitsanker gesetzt. Wenn ich funktioniere hab ich alles unter Kontrolle und nichts kann passieren. Jetzt ist es aber so, wenn man Missbrauchserfahrungen gemacht hat und diese überlenbt hat ist man danach nicht mehr „Average Joe“. Zum einen hat man unendliche Superkräfte, kann sich durchkämpfen, sein inneres Kind beschützen, wird extrem Resillient etc. Zum anderen wurden einem aber die allerschlimmsten Dinge angetan und man hat Angst und verliert das Vertrauen, bekommt Panikattaken, kann nicht mehr durchschlafen, weint viel oder wenig oder gar nicht mehr.
Dieser Konflikt führt bei mir dazu das ich den „missbrauchten Teil“ versuche komplett abzustoßen, weil ich mich so sehr für ihn schäme. Ich schäme mich dafür das er nicht funktioniert.
Gleichzeitig bin ich mir völlig bewusst darüber, was ich da mit mir selbst mache und was das bedeutet. Anstatt mich zu lieben und zu trösten, bestrafe ich mich. Damit werde ich ja wiederum zum Täter gegenüber mir selbst und auch dafür schäme ich mich. Ich schäme mich dafür das ich mich nicht so akzeptieren kann, wie ich bin und das ich meine eigene Geschichte nicht anerkennen will.
Das größte schämen liegt wohl aber unter dem Missbrauch an sich begraben, zum einen darüber mein Vater so etwas mit mir gemacht hat und ich mich benutzt, nicht liebenswürdig, dreckig und ekelhaft fühle. Aber auch die Scham darüber das ich es etwas besonderes zwischen mir und ihm war. Ich konnte als Kind nicht verstehen was vor sich geht und hab all die Lügengeschichten geglaubt. Heute schäme ich mich fast zu tode dafür.


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 10.01.2016, 11:03 
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Registriert: 08.01.2016, 20:08
Beiträge: 8
Ich danke euch allen sehr für eure liebevollen, aufmunternden, kraftspenden Worte!
Habt einen schönen Sonntag :sheep:

Liebe Grüße,


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 10.01.2016, 11:38 
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Registriert: 07.09.2013, 11:31
Beiträge: 844
Hallo Nachtgespenst,

auch von mir ein "Herzliches Willkommen". Ich muss zugeben, dass mich Deine Geschichte ebenfalls sehr berührt hat. Du kannst stolz darauf sein, dass Du bereits so weit bist und das hier so offen mitteilen kannst. Das ist ein ganz grosser Schritt.

Ich wünsche Dir Alles Gute und hoffe, dass Du hier einen guten Austausch hast und schnell Kontakte findest :-)

Liebe Grüße Melanie

_________________
Auch ein langer Weg beginnt mit einem ersten Schritt...


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 11.01.2016, 19:28 
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Registriert: 08.01.2016, 20:08
Beiträge: 8
Als ich meine Resilienz verlor und mich selbst entwaffnete..
Resilient stammt von dem Wort resilie, welches abpralen bedeutet. Früher oder besser gesagt bisher ist immer alles von mir abgepralt. Nicht umbedingt das was von aussen auf mich eingeprasselt ist, sondern eher das was von innen auf mich einprasseln wollte. Ich empfand keine großen Gefühle mir selbst gegenüber. Kein Mitleid, kein Mitgefühl, kein Stolz, nur wenig Liebe, keine Trauer um und für mich und keine Wiedergutmachung. Mir war nie kalt, ich musste fast nie pinkeln, ich war nur äußerst selten krank, vom Stresslevel extrem belastbar, kaum körperliches Schmerzempfinden, konnte 12h am Tag arbeiten – jeden Tag. Ich hab funktioniert. Und all die Mauer aus Beton um mein Herz rum haben mich resilient gemacht, mir selbst gegenüber.
Den tiefen inneren Wunsch nach Rettung hatte ich ganz lange ausgelagert. Der hatte kein Platz zwischen den Mauern. Ich hatte immmer gehofft das ich gerettet werde und gleichzeitig haben meine Mauern keine Form von Hilfe durchgelassen. Ich hab mir nichts mehr gewünscht als eine heile Welt. Eine Welt in der alles in Ordnung sein wird. In der mein Missbrauch nicht existiert. Da niemand kam und mich rettete dachte ich, ich muss nur lange genug durchhalten und dann wird irgendwann auf mystische Weise alles in Ordnung sein.

Jetzt ist die Resilienz weg. Ich habe sie quasi mit mehreren Anläufen in die Luft gejagt. Es gab eine bombastische Explosion und als ich wieder grade aus gucken konnte, waren all die Mauern, die ich umbedingt los werden wollte, endlich weg. Und in dem Moment wurde ich zudem, was ich eigentlich nie sein wollte: mir ist ständig kalt, mich durchströmt tiefe Liebe für mich und die Menschen um mich, ich bin bis über beide Ohren verliebt, ich bin dankbar für mein Leben, ich empfinde tiefes Mitgefühl für mich selbst und trauere um mich und was ich alles aushalten musste, ich muss ständig pinkeln, ich weine über mich und mit mir und nicht mehr aus Angst, ich bin weich und zart und ich bin weiblich (im erotischen Sinne) geworden. Ich habe mich selbst entwaffnet. Und das ist gut so. Das ist der Weg der Heilung. Ich weiß jetzt das niemand kommen und mich retten muss und das nur ich allein mir Sicherheit geben kann.

Gleichzeitig macht es mir eine Höllenangst. Ich hab das Gefühl ich hab all meine Waffen abgegeben ohne neue zu bekommen. Meine verschiedenen Copingmechanismen habe ich schon vor einer Weile hinter mir gelassen. Meine extreme Resilienz hat mir aber immer geholfen über Wasser zu bleiben, mich stark zu fühlen, mich nicht hilflos zu fühlen, Gefühle und Erinnerungen nicht zu sehr an mich ran zu lassen. Auf der einen Seite habe ich das bekommen was ich so sehr wollte, ich bin die Mauern los geworden und hab meine Erinnerungen zurück erhalten und gleichzeitig ist all mein Handwerkzeug und all mein Schutz weg. Ich fühle mich als wäre ich nackt und komplett durchlässig.
Es gibt Momente an denen ich meine Resilienz vermisse, jetzt zum Beispiel: ich lieg krank im Bett, habe körperliche Schmerzen und muss immer wieder anfangen zu weinen aus Liebe und Mitgefühl für mich selbst. Früher hätte ich mich einfach zusammen gerissen und weiter gemacht. Das geht heute nicht mehr.
Ich glaube nicht das meine Resilienz wieder kommt. Ich glaube auch das dass ok so ist. Ich muss nur lernen das all die neuen Seiten gut sind.


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 14.01.2016, 23:11 
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Registriert: 19.10.2011, 21:47
Beiträge: 1012
Wohnort: Hamburg
Hallo Nachtgespenst, erst einmal hoffe ich, dass es Dir wieder etwas besser geht und Du nicht mehr das Bett hüten musst!

Dein letztes Posting hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich glaube, dass Du überhaupt erst jetzt die Chance hast, echte Resilienz (psychische Widerstandskraft) zu entwickeln, gerade weil Du bereit bist, Gefühle wahrzunehmen und zuzulassen!

Resilient zu sein heißt nicht, Gefühle abzublocken und nichts mehr an sich ranzulassen … ganz im Gegenteil.

Schau mal hier:
http://www.zeitzuleben.de/resilienz-wie ... berstehen/

Ich finde es bärenstark, wie Du hier über Deine Gefühle schreibst. Über die Mauern, die Du niedergerissen hast. Klar, dass vieles Angst macht, weil Du ganz nah an Deinen Gefühlen dran bist. Aber ich glaube, Du bist auf einem guten Weg! Und es ist total schön zu lesen, dass Du Dir selbst Liebe und Mitgefühl geben kannst und dies auch mit anderen Menschen teilen kannst, DAS ist Stärke!

Alles Gute für Dich und liebe Grüße von Petra

_________________
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz)


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 15.01.2016, 11:06 
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Registriert: 07.09.2013, 11:31
Beiträge: 844
Hallo Nachtgespenst,

ich finde es total schön, dass Du hier im Forum so offen über Deine Gefühle schreibst und es ist sooo schön, dass Du die auch zulassen kannst. Ich weiß selbst wie schwer das ist und bin auch erst jetzt dabei zu lernen, überhaupt bestimmte Gefühle zu empfinden. Manche Gefühle hatte man in der Vergangenheit einfach gar nicht bzw. man konnte sie nicht zulassen.

Ich hoffe auch, dass es Dir wieder besser geht und es ist echt toll zu lesen, dass Du nicht nur Dir sondern auch anderen Mitgefühl geben kannst.

Liebe Grüße Melanie :-)

_________________
Auch ein langer Weg beginnt mit einem ersten Schritt...


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 Betreff des Beitrags: Re: Umgang mit der Scham
BeitragVerfasst: 20.03.2016, 03:34 
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Registriert: 03.05.2014, 16:10
Beiträge: 795
Hallo Nachtgespenst, mich hat deine Geschichte auch sehr berührt,
ich habe meine Gefühle gespürt :!: Es hat mich positiv fühlen lassen.
Du hast es gut aufgeschrieben und erklärt, so mutig.
Habe erst al die erste Geschichte gelesen, mehr ging nicht.
Herzlich Willkommen hier :!:
Ganz liebe Grüße Minou :hallo:


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