Hallo,
ich möchte eine kleine Geschichte von mir erzählen. Ich versuche gerade zu verstehen, WARUM ich sie erzählen möchte. Vielleicht wird mir das klarer, wenn ich sie erzählt habe.
Ich bin früher viel auf Freizeiten gefahren. Einmal war ich irgendwo mit ein paar Leuten in meinem Alter. Ich war kein Kind mehr, ich glaube es war schon im Studium. Wo es war weiß ich auch nicht mehr, nur dass ich die Sprache dieses Landes nicht konnte.
Wir waren mit dem Bus unterwegs mit der Gruppe. Es war warm und der Bus war sehr voll. Die Menschen standen dicht an dicht aneinandergedrückt. Etwas in meinem Rücken fühlte sich unangenehm an, als ob sich jemand an meinem Po reibt. Aber ich war nicht sicher und konnte auch nicht vor und nicht zurück und wenn ich mich umgedreht habe, haben alle ganz normal teilnahmslos geguckt, wie man eben in Bussen so guckt. Nicht mal wer hinter mir stand, wenn ich in die andere Richtung gesehen habe, wusste ich. Dann hat mich jemand angesprochen und ich sagte auf deutsch, sehr leise, ich verstehe die Sprache nicht. In englisch wiederholte er, ob das für mich ok sei oder ich Hilfe brauche. Ich sagte wieder sehr leise, ich weiß es nicht, ich weiß nicht ob das ist weil es so voll ist im Bus. Später wurde ein Sitzplatz frei und ich bat einen Jungen unserer Gruppe, mir diesen Platz zu überlassen. Als wir ausgestiegen waren, sagte ich das unserem Gruppenleiter. Er meinte, in fremden Ländern gäbe es eben auch andere Nähekonventionen. Ich sagte ärgerlich, wenn wirklich nichts gewesen wäre, warum hat mich dann jemand gefragt, ob ich Hilfe brauche? Und ich fragte, ob ich n Fleck hinten an der Hose hätte. Aber da war wohl nichts, wie die anderen sagten. Weiter wurde nicht darüber gesprochen, wir gingen Postkarten kaufen und was sonst noch so auf dem Programm stand für den Tag.
Ich habe später viel über diese Situation nachgedacht. Ob wirklich etwas war oder nicht. Und wie die richtige Reaktion gewesen wäre, wenn wirklich etwas war. Ich habe mir gesagt, ich hätte den Mann, der mich ansprach, sagen sollen ich mag das ganz und gar nicht. Egal obs bloß Gedränge war im Bus oder ein bewusstes Reiben. Ich war sauer auf mich. Schließlich habe ich gelernt, was man sagen soll. Ich bin nicht so aufgewachsen, dass ich glauben musste, ich dürfte mich nicht wehren. Im Gegenteil. Ich weiß auch noch, wie sich das damals anfühlte. Oder glaube es zu wissen. In späteren Jahren gab es einmal die Situation, dass ich per Anhalter gefahren bin und der LKW-Fahrer kam immer näher mit der Hand herüber. Erst sagte ich nur, ich möchte das nicht. Er zog die Hand zurück, kam dann aber doch immer näher. Da hab ich ihn angebrüllt, ich hätte doch eben klar gesagt, dass ich nicht will und zwar bevor er weit genug herübergerückt war um mein Bein zu berühren. Er war groß, aber in dem Moment wirkte er sehr klein. Kein WOrt wurde mehr gewechselt, obwohl wir vorher per-Du waren. Er lies mich bald heraus. Ich zitterte, aber da war ich nicht sauer auf mich. Ich sagte mir irgendwie: Siehste, geht doch, bin doch ein Tiger. Grrr. Trotzdem sagte ich mir auch da, nie wieder so schnell per-Du zu Fremden sein.
Warum ich das er erzähle? Ich weiß es nicht wirklich. Vielleicht weil zur Zeit oft das Gefühl da ist, als Partnerin steht man außen vor. Es ist als ob ne Mauer im Erleben von "ihr" und "wir" ist. Ich schreibe in einem Missbrauchsforum und bin selbst nicht betroffen. Als Partnerin darf ich in Foren viele Dinge auch nicht lesen, die sind nur für die Betroffenen. Ab und zu bekomme ich das Gefühl, dass mir vermittelt werden soll: Du wirst es eh nie verstehen. Dann fühle ich mich alleine. Ausgegrenzt. Dann denke ich, dieses zu erzählen ist reiner Egoismus, nur um zu zeigen: Hey, ich stehe nicht so sehr auf einer anderen Seite von der Mauer, wie du/ihr denkt. Es ist nicht dasselbe, aber irgendwie suche ich auch Austausch und Unterstützung. Möchte nicht außen vor sein. Einsamkeit? Das Gefühl ausgegrenzt zu werden? Purer Egoismus, nur um zu sagen: ich gehöre auch zu euch? Vielleicht.
Vielleicht will ich auch einfach sagen: Diese und ähnliche Situationen erlebt glaube ich jede Frau irgendwann in ihrem Leben. Ich kann ein bischen verstehen, wie schwer es sein muss, sich zu wehren, besonders wenn man nie ein Elternhaus hatte, was einem erklärt hat, wie man sich wehrt , wenn man mit Schweigegeboten groß geworden ist und nie dazu aufgefordert wurde, vielleicht besonders, da es bei mir anders war und ich es trotzdem erst lernen musste. Nur ein ganz kleines bischen kann ich es fassen, das weiß ich. Ein bischen Mauer mag da sein, zwischen eurem Erleben und der naiven heilen Welt, in der ich aufgewachsen bin. Aber ein paar Risse haben diese Mauern. Ein bischen kann ich auch verstehen. Ich meine auch mit den Gefühlen, über das reine rationale Wissen hinaus oder die Emotionen, die beim Schauen der Nachrichten auftauchen. Vielleicht will ich auch sagen: Ich kann leicht sagen, so ist es richtig zu handeln und so falsch, kann Seitenweise Text hier füllen, muss damit leben, dass mancher vielleicht denkt: so einfach wie sie denkt ist das nicht, die hat leicht reden. Soll sich als Nichtbetroffene doch zurückhalten. Das hat hier noch niemand gesagt, HIER nicht.
Ich wünsche mir diese Mauern, die da zu sein scheinen, woanders. Zwischen einem "Uns" und einem "die Täter". Ich möchte klarer auf das alles gucken dürfen, mehr hereingelassen.
Ach ich weiß auch nicht, was ich sagen will. Ne Frage habe ich nicht, obwohl ich hier im Forenteil "Fragen zum Thema sexueller Missbrauch" schreibe. Ich wollte nur ein paar Gedanken los werden.
Manchmal macht mich das sehr wütend, auf "euch" (nicht euch hier im Forum, ich denke an ein andere Betroffenenforum). Wenn ich das Gefühl habe, nur weil man Nichtbetroffen ist, dürfte man nicht wütend sein, dürfte man nicht Fragen stellen, müsste man immer wissen, wie man richtig reagiert und wann eine Frage zu direkt ist. Wissen was Rücksicht ist, obwohl einem gleichzeitig gesagt wird, man würde es nie verstehen und man gehört eh nicht dazu. Ohne konstruktive Kritik: Besser wäre es so und so zu fragen oder dies und das nicht zu tun. Ohne die Bereitschaft zu fühlen, wenn man meint sehr ehrlich und direkt zu sein und die eigenen Gefühle einer Sache betreffend zuzugeben, anzuerkennen, dass auch der Weg für einen Partner lang ist und wir ein bischen Hilfe brauchen. Nicht perfekt sein müssen und immer verständnisvoll. Einerseits ist die Mauer von Seiten der Betroffenen da: "Ihr" (wir) versteht das nicht. Andererseits auch in unseren Köpfen: Wir gehören nicht dazu, haben das nicht erlebt. Wir sollen stark sein und ein Fels in der Brandung und niemals Grenzen verletzen, selbst wenn wir gar nicht gemerkt haben, dass dort ne Grenze gesetzt wurde. "Das war falsch so zu fragen". "Das ist unsensibel". DU (ich) bist unsensibel. "Wir" haben Grund sauer zu sein und zu misstrauen, aber DU doch nicht, du darfst nie wütend auf uns sein.
So fühlt es sich manchmal an und ich weiß nicht, ob dieses Gefühl von mir richtig ist oder wieder etwas, was an mir falsch ist und wo ich lernen soll und an mir arbeiten. Und dann merke ich, dass auch ich manchmal diese Mauer fühle in MEINEM Kopf. Und das will ich nicht. Ich wünsche mir so ein WIR für UNS.
Pu
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