Lieber Franz,
ich habe gerade Deine neue Broschüre vor mir. Ich betrachte die Bilder. Bilder voller Leid und Schmerz, Bilder, die schreien, Bilder großer Gewalt. Du schreibst dazu in einer Unterzeile: „Bis heute ist die Malerei für sie ein wichtiges Ventil zur Bewältigung von Krisen geblieben. Die Malerin möchte gerne anonym bleiben.“ Solche Bilder habe ich auch auf meinem Rechner von verschiedenen Menschen. Wo Worte verboten sind, bleibt nur die Flucht in die Welt der Bilder, der Musik, vielleicht auch der Lyrik. In der Kunst ist vieles erlaubt. Man kann sagen „es ist Kunst“ und schafft damit die nötige Distanz zwischen sich und dem Werk, sowohl vor sich selbst als auch gegenüber der Außenwelt. Und über die Kunst können wir wieder sprechen, wie ausdrucksstark sie ist, welche Techniken angewandt wurden ...
Wie viele solcher Bilder mag es geben, in Bayern, in Hessen, in Rheinland-Pfalz, in Deutschland? Das Internet, so habe ich manchmal den Eindruck, ist voll von ihnen.
Unausgesprochenes Leid, das in stetem Strom gleich einer Infusion die Seele vergiftet. Da ist es gut, dass es Menschen wie Dich gibt, die sich bemühen, dem Wortlosen eine Stimme zu geben. Es gilt Tabus sichtbar zu machen. In Anlehnung an Heinz von Förster möchte ich sie Tabus zweiter Ordnung nennen: es wird verleugnet, dass es diese Tabus überhaupt gibt. Man versucht den Eindruck einer „tabulosen Gesellschaft“ zu erwecken! Wo die Tabus nicht wahr genommen werden, müssen sie auch nicht beachtet und schon gar nicht angesprochen und bearbeitet werden. Wieder möchte man so tun, als sei nichts gewesen: „ich weiß gar nicht, was du nur immer hast?“ „Da gibt es nichts, das kommt dir nur so vor!“
[center]Häusliche Gewalt ist keine Privatsache![/center]Es grüßt Dich recht lieb
Nikolaus
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