Gegen - Missbrauch e.V.

Die Plattform für Betroffene, Überlebende, Freunde und Partner

Dieses Forum ist Teil der eines Angebots von gegen - missbrauch e.V. Unsere Hauptseite finden Sie unter www.gegen-missbrauch.de

Aktuelle Zeit: 15.05.2024, 17:08

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 1 Beitrag ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: offener brief an den spiegel
BeitragVerfasst: 17.04.2006, 12:23 
Zum Interview mit Frau Gabriele Gordon im Spiegel Nr. 14 vom 03.04.2006 gibt es viel zu sagen. Hier nur ein paar Anmerkungen.

Selbstverständlich gibt es in seltenen Fällen auch den Missbrauch mit dem Missbrauch. In Frau Gordons Berufserfahrung gab es in 5 % der behandelten Fälle einen begründeten Verdacht darauf. In wie vielen Fällen es hier zu einer von ihr erwirkten Verurteilung kam, wird leider nicht gesagt. Dass jedoch deswegen grundsätzlich mit Misstrauen statt mit Unvoreingenommenheit zu reagieren wäre, ist eine Überreaktion von Frau Gordon, die ihrem Beruf nicht angemessen ist.
Dass einem Kind möglicherweise einiges weisgemacht werden kann, ist kein anerkannter rechtsstaatlicher Grund dafür, der Aussage des Kindes grundsätzlich zu misstrauen.

Der Artikel klingt an einigen Stellen so, als wäre es Frau Gordons Ziel, den Nachweis der Unschuld des Täters zu erbringen ("vermeintliche Täter", die Ausführlichkeit der Behandlung des umstrittenen "false memory syndrome" und anderes). Die Unschuld des Täters nachzuweisen ist jedoch nicht die Aufgabe der Justiz. Die Aufgabe der Justiz ist es, die Wahrheit herauszufinden. Ist dies nicht möglich, so gilt das Prinzip, dass der Angeklagte freizusprechen ist.
Durch den Freispruch ist lediglich nachgewiesen, dass eine Schuld nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.
Ist aber in 10 % der von ihr bearbeiteten Fälle dem Richter zweifelsfrei nachgewiesen, dass der Beschuldigte auch schuldig ist und verurteilt wurde, so ist das bei einem Verbrechen, bei dem der Nachweis so schwer zu erbringen ist, eine hohe Quote. In sehr vielen Fällen wird kein Nachweis zu erbringen sein und weiterhin Aussage gegen Aussage stehen. Der Angeklagte wird freigesprochen, der Fall bleibt ungeklärt.
Von übermäßigem Engagement zu sprechen, ist jedoch in zwei Hinsichten ein sehr heikler Ansatz:
Zum einen wird hier - meist am Kläger oder der Klägerin - dann auch von Frau Gordon eine neue Schuldfrage angesprochen, aber nicht geklärt:
Die Klägerin oder der Kläger, so wird durch Frau Gordons Worte der Schein erweckt, tragen nun die Schuld an der Zerrüttung einer Familie. In einer gesunden Familie wird es aber zu keiner solchen Anklage kommen, nur bei bereits bestehenden, schwärenden Konflikten wird überhaupt eine Aussage zu erzielen sein. Außerdem ist findet hier ein unzulässiger Umkehrschluss statt: Es ist nicht geklärt, ob die Anklage tatsächlich grundlos war, ob tatsächlich kein Verbrechen stattgefunden hat. Das Opfer hier abzuurteilen, ohne gerichtlich die Schuld festzustellen, ist genauso dem geltenden Recht widersprechend, wie den Angeklagten ohne Richterspruch für schuldig zu befinden.
Zum zweiten wird hier dem potentiellen Opfer weisgemacht, es sei schuld. Dasselbe, was auch nahezu jedem Opfer vom Täter weisgemacht wird: Es sei selbst schuld, es trage Schuld an allem, was passiert ist.

Das potentielle Opfer ist hier mehrfach geschädigt:
Zum ersten durch die Tat.
Dann durch den auch für das Überleben wichtigen Drang, Verantwortung zu nehmen. Ohne weiter darauf einzugehen, ist hier nur kurz das Stichwort Stockholm-Syndrom genannt,
Dann durch sein Opferdasein, was gesellschaftlich ins Abseits stellt.
Oft durch eine auf die Tat folgende psychische Erkrankung, die weiter stigmatisiert und vor viele praktische Probleme stellt, von den psychischen ganz zu schweigen.
Dann auch noch durch den Vorwurf, die Zerrüttung der zumindest bereits angeknacksten Familie zu verantworten.
Allein schon Frau Gordons Wortwahl "vermeintliche" Opfer und "vermeintliche" Täter unterstellt dem Opfer, zu lügen.
Fast kein Opfer tut sich letztlich einen Gefallen damit, die Tat anzuklagen: viele Vorwürfe, Stigmatisierung und Benachteiligung, Zweifel, das Tuscheln hinter dem Rücken des Opfers etc. etc. Nur wenn es tatsächlich zur Verurteilung kommt, ist ein klein wenig gewonnen. Allerdings meist nur für kurze Zeit, auf die für das Opfer viele Jahre folgen, in denen der Täter oder die Täterin auf freiem Fuß ist und es in ständiger Angst vor ihm oder ihr lebt.

Wird ein Verfahren eingestellt aus dem einzigen Grund, dass der oder die Anzeigende psychisch krank ist, so ist dies eine Diskriminierung von psychisch Kranken. Abgesehen davon, dass eine psychische Erkrankung von einem Missbrauch herrühren kann, die Strafverfolgung hier nicht ausgeschlossen werden, weil vielleicht ein Gutachten schwieriger zu erstellen ist.
Denn dass psychisch Kranke grundsätzlich nicht in der Lage wären, eine Aussage zu machen oder die Wahrheit korrekt darzustellen, ist nur im Einzelfall zu klären und nicht pauschel als gegeben zu betrachten.

Missbrauch, so Frau Gordon, stünde im öffentlichen Bewusstsein an erster Stelle, obwohl Misshandlungen so grausam sein könnten. Frau Gordon erweckt den Anschein der Verharmlosung von sexualisierter Gewalt - ein nicht nur unsensibler, sondern auch in sehr vielen Fällen unzutreffender Schein. Sexuelle Gewalt ggen Kinder zeichnet sich durch die Eigenschaft der Täter aus, Macht erlangen zu wollen. Dem entsprechend unterwerfen sie häufig auch mit Mitteln, bei denen selbst die Bezeichnung "Misshandlung" verharmlosend erscheint.

Nun noch zu der von Frau Gordon bezweifelten Dunkelziffer ein simpler Gedanke:
Frau Gordon spricht selbst davon, dass das Verbrechen eins der am schwersten nachzuweisenden ist. in 10 % der Fälle kann sie jedoch selbst zweifelsfrei dem Gericht nachweisen, dass der Täter schuldig ist. Eine hohe Quote für ein Verbrechen, das so schwer nachzuweisen ist.


Zuletzt noch ein kurzes Wort zu Frau Gordons Fachwissen der Traumatologie. In den letzten Jahren ist einerseits die physiologische traumatische Verarbeitung weiter erforscht worden und daher auch bekannt, woher die bruchstückhaften Schilderungen des Tathergangs kommen, und dass es im Fall von starker Traumatisierung auch notwendig erst einmal zu solchen Brüchen kommt. Dies ist wissenschaftlich belegt.
Dass Frau Gordon wirklich nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung ist, lässt sich auch daran erkennen, dass sie Therapie nicht in jedem Fall empfiehlt, da man doch in uralten Erinnerungen herumkrame und die Aufarbeitung nicht immer zu einer Erleichterung führe.
Moderne Traumatherapeuten bestehen keineswegs immer auf Aufarbeitung. Diese ist zwar möglich und oft sinnvoll - wenn auch oft nicht durch die Frau Gordon bekannte Gesprächstherapie -, aber nicht immer. In solchen Fällen ist einfach eine andere Herangehensweise in der Therapie nötig, und nicht etwa gar keine Therapie.

__________________________________________

Dieser Text ist zur Vervielfältigung, Weitergabe etc. freigegeben, soweit und sofern dies den Schutz anderer auf dieser Seite zu findender Texte in keiner Weise beeiträchtigt und auch sonst die Rechte und den Schutz der Nutzer dieser Seite in keiner Weise beeinträchtigt.


Nach oben
  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 1 Beitrag ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste


Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du darfst keine Dateianhänge in diesem Forum erstellen.

Suche nach:
Gehe zu:  
Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007, 2016 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de